Schattenseelen Roman
um gleich darauf einen neuen Angriff zu starten. Unter der Wucht stürzte Adrián zu Boden. Der Hund sprang auf seine Brust und biss immer wieder wie eine wild gewordene Bestie zu.
»Lauf weg!«, krächzte Adrián, während er versuchte, das Tier abzuschütteln.
Nur eine Handbreit von sich entfernt sah Evelyn einen Stock. Kaum noch bei Sinnen, bekam sie das Holz zu fassen. An der Wand richtete sie sich auf. Sie schwankte auf den Hund zu, drosch auf ihn ein und erwischte ihn am Schulterblatt. Die Bestie winselte auf, drehte sich um und biss in den Stock. Mühelos zerlegten ihre Kiefer die provisorische Waffe. Evelyn hielt bloß einen Stummel mit einem spitzen Ende.
Der Hund stürzte wieder auf Adrián zu, der inzwischen
sichtlich an Kraft verlor. Die scharfen Zähne bekamen seinen Hals zu packen, rissen die Haut und Adern auf. Ein Blutstrom schoss aus der Wunde. Der Hund schluckte davon eine Menge und hustete keuchend.
Wie paralysiert starrte Evelyn auf die sich ausbreitende Blutlache, während das Tier sein Opfer immer weiter biss.
6. Kapitel
S ie musste irgendetwas tun! Verzweifelt sah sich Evelyn um. Neben ihr lag eine zerdrückte Tomatendose. Der Wind spielte mit den vergilbten Fetzen eines Anzeigenblattes, und die letzten Sonnenstrahlen brachten das Grün der Flaschenscherben zum Leuchten. Evelyn schleuderte die Dose nach dem Tier. Der Hund knurrte und streckte ihr sein Maul entgegen, bevor er sich wieder seinem Blutmahl zuwendete.
»Komm her, Wuffi«, schrie sie ihn an. Mit dem Zeigefinger prüfte sie das Ende des Pflockes. Spitz genug, um das Tier aufzuspießen. Obwohl sie bezweifelte, es präzise genug zu treffen, um eines der wichtigen Organe zu verletzen.
»Worauf wartest du? Komm her!«, brüllte sie, berauscht von Adrenalin. »Du willst doch spielen. Warum nicht mit mir?«
Die goldbraunen Augen musterten sie mit einem nahezu intelligenten Schimmer. Der Honigblick vertrieb die angriffslustige Amazone aus ihr und füllte sie mit Wärme. Es war verwirrend, was sie gerade empfand. Diese Ruhe und das Gefühl von Sicherheit. Evelyn
senkte ihre Waffe, völlig gebannt von diesem Blick, verschollen in der Widersprüchlichkeit ihrer Gefühle. Der Pflock fiel zu Boden und rollte über den Asphalt. Sie streckte dem Tier ihre offenen Handflächen entgegen. »Kannst du mich verstehen?«
Der Hund spitzte die Ohren und legte den Kopf schief. Er konnte es, das wusste sie genau, wie unglaublich es auch sein mochte.
Der Lärm eines Motors ließ Evelyn zusammenzucken. Ein 5er BMW sauste rückwärts die Gasse entlang. Es wunderte sie, wie der Fahrer bei dieser Geschwindigkeit in der Enge manövrieren konnte. Das Heck des Wagens raste auf den Hund zu. Die Bremslichter flammten auf, die Reifen quietschten, und die Stoßstange rammte ihn in die Seite. Überraschenderweise sprang das Tier sofort auf die Beine, bereit, jeden zu zerfleischen, der ihm zu nahe käme.
Aus dem Wagen stieg Maria aus. In ihrer schwarzen Kleidung und mit betont aufrechter Haltung ähnelte sie einem Todesengel, als hätte sie ein Stück Finsternis mit sich gebracht. Unter dem Rock zog sie ein Kampfmesser hervor, das zu groß für ihre zierlichen Hände schien. Der Hund begriff offenbar, dass die Situation sich nicht zu seinen Gunsten gewendet hatte. Er zwängte sich an dem Auto vorbei und stürmte durch die Gasse davon. Maria schleuderte die Waffe nach ihm, doch das Tier verschwand schon hinter der Abbiegung. Das Messer prallte von der Wand ab und klapperte über den Asphalt. Evelyn schüttelte ihre
Starre ab und rannte zu Adrián. Sie sank vor ihm nieder, schlug sich die Knie auf, ohne es zu merken. Der Blutstrom aus seiner Halswunde schwächte ab - sein Herz gab auf. Evelyn drückte auf die Schlagader, in dem verzweifelten Versuch, ihn so lange am Leben zu erhalten, bis sie es in ein Krankenhaus geschafft hatten. Doch sie wusste bereits, dass sie es nicht mehr schaffen würden.
Er wandte den Kopf zu ihr mit einer letzten, sinnlos verschwendeten Anstrengung. Das Schimmern seiner blauen Augen ermattete.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist«, log Evelyn, als sein Blick sie traf.
Adrián sah in ihr Gesicht, wenngleich Evelyn daran zweifelte, dass er sie noch erkennen konnte. Ihre Hände waren bis zu den Ellbogen in seinem Blut gebadet. Sie bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln. »Jetzt habe ich dein Hemd besudelt. Es war sicher teuer. Diese Flecken kriegst du nie raus.«
Seine Mundwinkel zuckten, als wollte er ihr Lächeln erwidern. Bei
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