Schattenspäher
nieder, doch der Boden hatte aufgehört, sich zu bewegen. Das Beben war vorüber.
Schwer atmend sanken Silberdun und Sela auf einen Felsen. Auf ihren Haaren und dem Gesicht lag eine dicke Staubschicht; über Selas Wangen strömten die Tränen. So saßen sie eine Weile einfach nur da und blickten sich stumm an.
»Hilfe!«, ertönte plötzlich von irgendwoher Eisenfuß' Stimme. »Silberdun! Sela! Je Wen!«
Silberdun sprang auf und rannte los, hetzte über die nun veränderte Landschaft auf die Stelle zu, aus der Eisenfuß' Rufe kamen. In der Luft lag noch immer Staub. »Mach langsam!«, rief Sela ihm nach, doch Silberdun rannte einfach weiter, und das Grauen, das sich eben fast gelegt hatte, ergriff erneut von ihm Besitz. Er versuchte es mit Eisenfuß' Trick und griff in sich hinein. Er fand seine Panik und bekam sie tatsächlich ein wenig in den Griff.
»Eisenfuß!«, rief er, nun nicht mehr ganz so sicher, wohin er sich wenden musste. Der Gebirgskamm hier war in der Mitte aufgerissen, und dazwischen klaffte eine tiefe Schlucht.
»Hier drüben!«, kam Eisenfuß' Stimme zurück. »Und beeil dich, verdammt noch mal!«
Silberdun folgte der Stimme und sprang auf ein kleines felsiges Plateau. Vor ihm teilte sich der Staub, und er kam gerade im letzten Moment vor einem steilen Abhang zum Stehen. Eine dichte Säule aus Dreck trudelte hinab in die Tiefe. Silberdun starrte in die Schlucht und sah, dass Eisenfuß sich mit nur vier Fingern an einem Vorsprung festhielt, während unter ihm ein mindestens hundert Fuß tiefer Abgrund gähnte. Doch damit nicht genug; Eisenfuß' andere Hand umklammerte Timhas Unterarm. Der Lederranzen mit dem kostbaren Inhalt baumelte ihm vom anderen Arm.
»Hol mich endlich hier raus, verflucht noch mal!«, brüllte Eisenfuß.
»Ist Timha noch am Leben?«, fragte Silberdun, während er sich auf den Boden legte und ein Stück über den Abgrund schob.
»Er atmet noch«, erwiderte Eisenfuß. »Aber das wird sich bald ändern, wenn du uns nicht endlich raufziehst!«
Silberdun griff nach unten. Seine Fingerspitzen berührten Eisenfuß' Handgelenk.
»Vorsicht!«, rief der.
»Und jetzt?«, fragte Silberdun, der merkte, wie die Panik wieder in ihm hochstieg. Er griff abermals in sich hinein und unterdrückte die Angst. Diesmal ging es leichter; wenige Sekunden später war er ganz ruhig. »Du könntest Timha loslassen«, sagte er nüchtern. »Besser er als wir beide.«
»Ich hab mir nicht den Arsch aufgerissen, um ihn außer Landes zu schaffen, nur damit ich ihn jetzt fallen lasse«, grunzte Eisenfuß. Er musste seine gesamte Schattenstärke aufbieten, um noch durchzuhalten. Er drehte den Kopf in Richtung Timha und brüllte: »Wach auf, du Hurensohn!«
Timha hob das Kinn, dann riss er die Augen auf.
»Nicht bewegen«, zischte Eisenfuß ihm zu. »Ich will jetzt, dass du -«
In diesem Moment begann Timha zu schreien und zu zappeln und um sich zu treten. Eisenfuß hatte seine liebe Not, sich am Vorsprung festzuhalten; unter seinen Fingern quoll Blut hervor, wo der scharfkantige Felsen in sein Fleisch schnitt.
»Scheiße! Ich hab doch gesagt, nicht bewegen!«
Timha erstarrte. Dann schloss er die Augen.
»Und jetzt hör gut zu, Timha!«, sagte Silberdun. »Ich will, dass du mit deiner linken Hand vorsichtig nach oben greifst und meine Hand nimmst. Und wenn ich vorsichtig sage, dann meine ich so behutsam wie das Liebeswerben der Tochter eines Schwertschmiedes.«
Langsam und zitternd hob Timha seinen Arm. Eisenfuß ächzte vor Schmerz und verzog das Gesicht.
Silberdun griff zu, packte Timhas Handgelenk und zog, so stark er konnte. Keuchend stemmte er sich dabei gegen den Untergrund - Timha war schwerer als er selbst. Einige angstvolle Sekunden lang hatte Silberdun die Befürchtung, dass das Gewicht des Unseelie ihn jeden Moment in den Abgrund reißen würde. Dann schoben sich Timhas Arme plötzlich über die Kante, und der Thaumaturge krabbelte neben Silberdun auf das Plateau.
Wieder schob sich Silberdun über den Vorsprung und packte zu. Eisenfuß' Hand war voller Blut und glitschig; es war unmöglich, sie sicher zu greifen.
»Nimm meine Hand!«, rief Silberdun dem Freund zu.
»Ich glaube nicht, dass ich's kann«, zischte Eisenfuß. »Ich bin fast leer, Silberdun.« Sein freier Arm baumelte kraftlos herab.
»Greif in dich hinein und verstärke deine Muskeln«, sagte Silberdun. »Du weißt doch, wie das geht. Hast es mir doch selbst beigebracht!«
»Ich hab kein re mehr übrig.«
»Dann
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