Schattenspäher
nimm meins!«, erwiderte Silberdun.
»Wie?«
»Im Kerker von Kastell Weißenberg hat Jedron das mit mir gemacht«, sagte Silberdun. »Es muss also möglich sein.« Ohne wirklich zu wissen, was er tat, konzentrierte sich Silberdun auf Eisenfuß und schob ihm reine Essenz zu. Etwas zerrte an ihm, saugte an ihm, genau wie Ilian/Jedron es getan hatte. Ohne die kalten Eisenstäbe, die das re abstießen, ging der Essenzfluss diesmal langsamer, jedoch stetiger vonstatten.
»Ich kann's fühlen«, murmelte Eisenfuß. Er hob den freien Arm, stöhnte vor Schmerz auf, schob ihn Zentimeter für Zentimeter nach oben. Silberdun packte ihn und zog und erkannte im nächsten Moment seinen Fehler. Er hatte all seine Stärke an Eisenfuß gegeben und nun nichts mehr für sich selbst übrig. Zu allem Überfluss war Eisenfuß deutlich schwerer als Timha.
»Zieh doch!«, stieß Eisenfuß mit aufgerissenen Augen hervor.
»Ich arbeite dran«, knurrte Silberdun. »Moment noch ...«
»Silberdun, du Bastard!«, brüllte Eisenfuß. Dann begannen seine Finger millimeterweise auf dem Vorsprung abzurutschen.
In diesem Moment spürte Silberdun, wie sich etwas über ihn schob. Dann legte sich eine fremde Hand über seine. Es war Selas Hand.
»Und jetzt zusammen«, sagte sie.
Kurz darauf lagen alle vier - Silberdun, Eisenfuß, Sela und Timha - schwer atmend, aber in Sicherheit - auf dem Felsenplateau.
»Wo ist Je Wen?«, wollte Eisenfuß wissen, als er wieder sprechen konnte.
Silberduns Schweigen beantwortete ihm die Frage.
»Er hatte eine schwangere Frau.«
»Ja, das hatte er.«
Eisenfuß stieß hart die Luft aus und schloss die Augen. Blut tropfte von seiner Hand auf den staubigen Felsen.
29. KAPITEL
Das, was ist, kann man nicht mehr ändern.
Aber man kann es immer noch so aussehen lassen wie etwas, das es nicht ist.
- Meister Jedron
Kurz vor Sonnenuntergang stiegen die vier vom letzten Hügel herab und schlurften in ein Weizenfeld. Sie waren blutverschmiert und von Staub bedeckt, ihre Kleidung teilweise zerrissen.
Sie gingen auf ein Bauernhaus zu, das am Ende der Felder neben einer soliden grünen Scheune stand. Als sie näher kamen, hoben einige grasende Kühe ihre Köpfe.
Der Bauer war in seinem Garten hinterm Haus und fütterte gerade die Hühner. Als er die Gruppe auf sich zukommen sah, erstarrte er mitten in der Bewegung.
»Und jetzt?«, fragte Eisenfuß die anderen.
»Ich mach das.« Sela trat vor.
Der Bauer stand auch weiterhin reglos da. »Was kann ich für Euch tun?«, fragte er. Silberdun konnte sich gut vorstellen, wie sie auf ihn wirkten: drei abgerissene, blutverschmierte Kerle und eine wunderschöne Frau - vier von Staub bedeckte absonderliche Gestalten, die auf ihn zuhielten.
»Wir waren zu einem Ausflug ins Gebirge aufgebrochen«, sagte Sela mit einem entschuldigenden Lächeln. »Ich weiß, eine dumme Idee; einer dieser spontanen Einfälle, wie sie nur ein Mädchen haben kann ... und dann wurden wir von einem Beben überrascht.«
»Ja, das haben wir sogar hier unten mitbekommen.«
»Wir wären Euch sehr dankbar, wenn Ihr uns Eure Wasserpumpe zur Verfügung stellen könntet und vielleicht ein paar frische Kleider«, sagte Silberdun. »Wir würden Euch auch sehr gern dafür entlohnen.«
»Ausflug?«, fragte der Bauer zweifelnd. »Ich weiß genau, was Ihr da oben wolltet; hab so was schon oft erlebt.«
Silberdun sah ihn verständnislos an. Er kniete nieder, wie um seine Schnürsenkel neu zu binden, griff stattdessen jedoch nach dem Dolch in seinem Stiefelschaft.
»Glaubt Ihr etwa, Ihr Burschen seid die Ersten, die sich der Einberufung durch eine Flucht entziehen wollen?«
»Was für eine Einberufung?« Sela starrte den Bauern mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, und der Blick des Mannes wurde ernst.
»Sagt bloß, Ihr habt noch nichts von der Mobilmachung gehört?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Sela. »Wir waren doch den ganzen Tag unterwegs.«
»Der Aufruf erreichte Elenth gestern«, sagte der Bauer. »Er kam direkt aus der Stadt Mab. Alle diensttauglichen Männer werden eingezogen.«
»Was?«, fragte Silberdun mit scharfer Stimme.
»Es steht Krieg bevor«, sagte der Bauer.
Silberdun und Eisenfuß wechselten einen besorgten Blick.
»Wenn das stimmt«, sagte Silberdun, »dann müssen wir unverzüglich in die Stadt zurück. Und wie ich schon sagte, ich würde Euch gern für ein paar frische Sachen entlohnen.« Er griff in die Tasche seiner Weste und fischte ein paar Silbermünzen
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