Schattenspäher
vernichten.«
»Das wird noch ein Nachspiel haben«, sagt Silberdun.
Zurück in Smaragdstadt sitzt Silberdun in seiner luxuriösen Stadtvilla und denkt noch einmal über alles nach. Hat Bresun wirklich die Wahrheit gesprochen? Es steht zu vermuten, denn der Onkel ist ein kluger, umsichtiger Mann.
Ist er, Silberdun, wirklich bereit, seinen Titel aufs Spiel zu setzen? Er lässt seinen Blick durch die feudalen Gemächer schweifen und kennt die Antwort.
Er schickt Gleia eine Botenfee und sagt die Hochzeit ab. Einige Monate wird er ihr und ihren Nachfragen aus dem Wege gehen müssen, doch dann ist das Thema erledigt.
Und wenn er ehrlich ist, so ist er erleichtert, hatte er im Grunde seines Herzens ja sowieso nie heiraten wollen.
Der Morgen dämmerte neblig und nass. Die Berge waren hinter dem grauen Dunst verschwunden. Es war kalt und windig, und dann war in der Nacht zu allem Überfluss auch noch das Feuer ausgegangen. Alles war klamm, und Silberdun musste ein wenig Hexenlicht für die Gruppe zaubern, weil es kein trockenes Holz mehr gab. Hexenlicht brannte heiß und vermochte die Umgebung genügend zu erleuchten, aber Essen, das damit gekocht wurde, hatte immer einen komischen Beigeschmack. Auch begann man, sich irgendwann unwohl zu fühlen, wenn man sich zu lange in seiner Wärme aufhielt.
Die Stimmung im Lager war auch an diesem Morgen nicht gerade auf ihrem Höhepunkt. Selbst Je Wen, den normalerweise nichts erschüttern konnte, ging heute zu den anderen auf Abstand und packte schweigend alles zusammen, während die anderen verdrießlich umherstapften, um die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben.
»Im Laufe des Tages wird's etwas wärmer«, meinte er.
Silberdun versuchte Selas Blick zu erhaschen, doch sie wich ihm ostentativ aus und verwickelte Eisenfuß in oberflächliche Gespräche, sobald Silberdun sich ihr näherte. Timha sagte überhaupt nichts, schlüpfte nach dem Aufstehen wortlos in seine eleganten, wenngleich unzweckmäßigen Stiefel und stand dann reglos da.
Je Wen schien es am zweiten Reisetag ein wenig langsamer angehen zu wollen. Dort, wo gewisse Kletterkünste gefragt waren, zeigte sich, dass weder Timha noch Sela darin geübt waren, und Silberdun dankte den Göttern, dass sie ihn und Eisenfuß mit jener mysteriösen Stärke gesegnet hatten. Tatsächlich hatte er sich nie besser gefühlt, zumindest nicht körperlich.
Wie Je Wen es versprochen hatte, wurde es langsam wärmer, und gegen Mittag hatte sich der Nebel völlig aufgelöst. Sie marschierten und kletterten, verfielen dabei in einen Rhythmus, der Silberdun einlullte und irgendwann glauben ließ, dass diese Einöde die ganze Welt, ja, das Leben an sich war. Alles andere schien auf einmal so weit weg zu sein.
Bei Einbruch der Dämmerung fanden sie eine gemütliche, trockene Höhle für die Nacht. Wie sich herausstellte, kannten Eisenfuß und Je Wen ein paar derselben Melodien, wenngleich in unterschiedlichen Sprachen. Sie sangen sie trotzdem - Je Wen auf Arami und Eisenfuß in Gemeinsprache. Die derben Verse der Seelie-Version reizten Je Wen zum Lachen, und seine gute Laune war ansteckend. Selbst Timha fiel irgendwann in den Refrain einer alten Weise mit ein, die er kannte. Silberdun war kein begeisterter Sänger, lauschte aber, glücklich über die Ablenkung, den anderen. Wenn sie morgen Elenth erreichten, dann würden sie wieder in das richtige Leben mit all seinen Problemen eintauchen. Der Ruf zu den Waffen würde immer noch im Senat widerhallen. Und die Einszorn wäre nach wie vor eine reale Bedrohung.
Und dann war da noch die Sache mit ihrer Beinahe-Gefangennahme in Preyia. Die Erinnerung an das, was in Annwn geschehen war, war allgegenwärtig. Man hatte sie erwartet; jemand hatte die örtlichen Wachen von der Anwesenheit der Schatten in Kenntnis gesetzt.
Sie sangen bis tief in die Nacht. Silberdun beobachtete, wie Sela Eisenfuß und Je Wen beobachtete und seinem Blick möglichst auswich. Wenn sie ihn anlächelte, dann lag über diesem Lächeln der Schatten ihrer letzten Begegnung; es war ein freudloses Lächeln. Sein anfängliches Wohlbefinden an diesem Abend mündete bald in Sorge, und er wälzte sich noch lange kummervoll auf seinem Lager hin und her, bevor er endlich in Schlaf fiel.
Der nächste Morgen war wieder bitterkalt, doch statt des Nebels wurden sie von Nieselregen begrüßt. Kurz nachdem die Gruppe die Höhle verlassen hatte, waren alle klitschnass, und mit dem Guss von oben schien auch die letzte Euphorie des
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