Schattenspäher
hatte, kurz bevor er aus der brennenden Luftbarke gefallen war. Die beiden standen klar in einer Verbindung zueinander, und doch war da etwas ganz und gar falsch.
Der Morgen dämmerte schon, als ihm klar wurde, was. Dutzende Male hatte er alles wieder und wieder geprüft, bevor ihm ein Licht aufging.
»Sela«, sagte er, als er die Schattenhöhle betrat und sich auf seinen Bürostuhl fallen ließ. »Ich glaub, ich hab's.« Er lächelte.
Sela war an ihrem eigenen Schreibtisch eingenickt und schreckte auf. »Was? Was hast du?«
»Ich hab rausgefunden, warum die Unseelie-Thaumaturgen nicht in der Lage waren, die Einszorn nach den Plänen nachzubauen, die Timha uns übergab.«
»Wirklich?«
»Ja.« Eisenfuß' Lächeln wurde breiter. »Weil sie nämlich gefälscht sind.«
»Was?«
»Oh, es war ein recht ausgefuchster Schwindel, aber mehr auch nicht. Wer immer sich diese Pläne ausgedacht hat, vermutlich der geschätzte Hy Pezho selbst, hat viel Zeit darauf verwandt, eine Meisterleistung in Sachen Thaumaturgie zu vollbringen. Ein brillantes, extravagantes Bravourstück, das im Kern den nahezu perfekten Schwindel darstellt.«
»Wovon redest du?«, fragte Sela.
»Auf keinen Fall sind das die Pläne für die Einszorn.« Eisenfuß erhob sich und trat mit voller Wucht gegen seinen Stuhl. Das Möbel knallte gegen die Wand und zerbrach.
»Verstehst du nicht?«, erklärte Eisenfuß immer noch lachend. »Diese Pläne sind vollkommen wertlos! Es war alles umsonst! Silberdun ist umsonst gestorben!«
Eisenfuß lachte und lachte, bis er in Tränen ausbrach. Er sank auf den Boden der Schattenhöhle und weinte bitterlich. Nach einer Weile erhob sich Sela von ihrem Schreibtisch und ließ sich neben ihm nieder. Und dann weinten sie gemeinsam.
30. KAPITEL
Ein Mann aus dem Osten lässt den Lichtschmied ins Haus kommen, damit der alle Hexenlichtlampen wieder auflädt. »Welche Farbe soll das Licht denn haben?«, fragt der Lichtschmied.
»Ist mir völlig egal«, sagt der Mann aus dem Osten.
»Ich bin ohnehin blind.«
»Und wozu braucht Ihr dann Hexenlicht?«, fragt der Lichtschmied.
»Na ja, ich geb's nur ungern zu«, sagt der Mann aus dem Osten, »aber ich hab Angst im Dunkeln.«
- Seelie-Witz
Schwärze.
Doch Schwärze traf es irgendwie nicht. Schwärze implizierte Sehen; Schwärze bedeutete, dass man nichts mehr sah. Doch das hier war das Nichtvorhandensein von Sehen, das Fehlen jedweder Kenntnis vom Sehen.
Ja, die Dinge waren gut gelaufen. Sehr gut sogar. Er war dem Ziel seiner Träume sehr nahe gekommen. Alles war so eingetreten, wie er es geplant hatte. Und dann, im Moment seines ultimativen Sieges, in der Sekunde seiner triumphalen Rache, da war er zur Strecke gebracht worden wie der ewige Bösewicht in einer Mestina-Aufführung. Der fel-ala, sein persönlicher Rachegeist, hatte sich gegen ihn gewandt und ihn vernichtet in dem Augenblick, da er seine Nemesis hätte vernichten sollen. Ja, Nemesis. Nach allem, was er durchgemacht hatte, besaß er das verdammte Recht, in Extreme zu verfallen. Besaß das Recht auf Rachegedanken, die jenseits jeglicher Vorstellungskraft lagen, und weit, weit jenseits jeder Logik, Gerechtigkeit und Moral.
Als die Tentakel des fel-ala ihn berührten, war da nichts als Schmerz gewesen. Ein tief brennendes Gefühl, das unter die Haut ging, durch seine Arme und Beine floss und dann seine Wirbelsäule hinaufkroch bis ins Hirn. Ein heftiger, unerträglicher Stich, endgültig, atemberaubend, unermesslich. Dann umfing ihn der fel-ala und verschlang ihn in einem Stück. Im Innern der Kreatur herrschte Dunkelheit, die ultimative Dunkelheit.
Bis zu jenem Moment hatte er keine Ahnung gehabt, was Dunkelheit wirklich bedeutete.
Im Innern des Biests brach sich der Schmerz der eigenen Zersetzung Bahn. Und das Wissen darum, dass er verschlungen worden war. Bei lebendigem Leibe gefressen. Der Dämon besaß so etwas wie Zähne, aber die waren hakenförmig; sie schlugen sich in sein Fleisch und rissen daran, schälten ihm die Haut ab, schlürften sein Blut. Sie gruben sich in seine Knochen, saugten an ihnen. Die Zeit verging nun langsamer für ihn, eine reitische Eigenschaft des fel-ala, die er selbst kreiert hatte. Damit das Opfer die Agonie in größtmöglicher Länge erdulden musste. Sein Bewusstsein wurde nun gezwungen, das ganze Spektrum des Aufgefressenwerdens zu erleben, jedes Reißen, jeden Biss, Stück für Stück.
Er erlitt nun jene Pein, die er eigens für sie ersonnen hatte. Für seine
Weitere Kostenlose Bücher