Schattenspäher
nach die größte Leistung auf dem Gebiet der Investigativen Thaumatologie darstellte: Er würde jene monströse Magie rekonstruieren, welche die Stadt in einem Atemzug ausgelöscht hatte. Ja, er würde »Einszorn« nachbauen, indem er sich allein an den Auswirkungen dieser Waffe orientierte.
Und danach? Was dann? Konnte nach diesem Projekt noch irgendetwas von Bedeutung kommen? Jener Teil von ihm, der die Quelle seiner Wut und Ungeduld war, sprach in letzter Zeit wieder häufiger zu ihm: Es ist an der Zeit weiterzuziehen.
Er und Armin setzten ihren Weg fort, lauschten den Geräuschen, welche die Instrumente verursachten, wenn sie auf die Trümmer trafen, und den leisen Gesprächen der arbeitenden Studenten. Jemand sang einen alten arkadischen Choral:
Gebettet in dem heil'gen Grund,
lass deinen Geiste mich umfangen.
Geleit' mich zur Erneuerung,
und durch Erde, Wind und Woge,
oh, erwecke mich.
Die Melodie war einprägsam, wunderschön, und plötzlich wurde Eisenfuß bewusst, dass dies nicht nur ein weiteres Projekt, eine beliebige Forschungsstätte war. Dieser Ort war ein gigantischer Friedhof, ein Beinhaus nie da gewesenen Ausmaßes. Die weißen Stücke, die überall zwischen den zerbrochenen Steinen verstreut lagen, das waren keine Steinfragmente - es waren Knochenreste.
Er ließ Armin bei einem der Studenten zurück, der eine Frage zu einem abweichenden Messergebnis hatte, und ging weiter, darauf achtend, auf nichts anderes zu treten als auf Schutt.
Eisenfuß war Gelehrter, doch es hatte eine Zeit gegeben, da war er auch Soldat gewesen, und die Echos der Gewalt weckten in ihm Gedanken an Rache. Bilder und Gefühle, von denen er geglaubt hatte, sie wären seinem jüngeren Ich vorbehalten geblieben. Nein, der Wille zum Sieg hatte ihn nie verlassen. Doch darüber nachzugrübeln förderte nichts Gutes zutage.
Und so schob er diese Gedanken weit von sich. Er hatte Arbeit zu erledigen und keine Zeit für Reue.
Als Eisenfuß eine Stunde später zu seinem Zelt zurückkehrte, wurde er von einem älteren Edelmann erwartet. Der Besucher hielt sich wegen des Gestanks ein Tuch vors Gesicht.
Armin bereitete bei Eisenfuß' Eintreffen Tee am kleinen Lagerofen vor; er wirkte ein wenig nervös.
»Ein Lord Everess wünscht Euch zu sprechen, Meister Falores«, sagte er.
Everess verbeugte sich leicht in Richtung Eisenfuß. »Welch eine Freude, Euch kennen zu lernen, Falores. Eine aufrichtige Freude.«
Er war nicht der erste Adlige, der zur Forschungsstätte gekommen war, um ein bisschen herumzuschnüffeln. Die meisten wollten von Eisenfuß durch die Trümmer geführt werden und mit ihm ein bisschen über die Technologie zu fachsimpeln, die bei der Zerstörung der Stadt zum Einsatz gekommen war. Einige schienen ernsthaft besorgt wegen der »Einszorn«-Waffe, die überwiegende Mehrheit jedoch wurde nur aufgrund einer morbiden Faszination hierhergetrieben. Eisenfuß wusste nicht zu sagen, von welcher Sorte dieser Everess war.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Lord Everess«, erwiderte Eisenfuß mit der gebotenen tiefen Verbeugung. »Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«
»Ah«, meinte Everess lächelnd. »Das ist die große Frage, nicht wahr?«
»Vor allem ist es diejenige, die ich Euch gerade stellte«, antwortete Eisenfuß.
»Ein Gelehrter und ein Spaßvogel.« Wieder lächelte Everess. Falls ihn Eisenfuß' freche Erwiderung irgendwie brüskiert hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. »Ich sehe, Ihr seid ein beschäftigter Mann, so komme ich also direkt zur Sache. Wollen wir nicht ein paar Schritte zusammen gehen?« Er nahm seinen Spazierstock zur Hand und deutete mit ihm durch das Lager.
Eisenfuß geleitete Everess zum Rand des Kraters und bedeutete ihm, weiterzugehen. »An dieser Stelle kann man am besten hinabsteigen«, sagte er.
»Oh, ich muss da nicht runter«, meinte Everess. »Ich war schon mal hier. Eine Woche, nachdem es passiert ist. Und ein Mal hat mir gereicht, das kann ich Euch sagen.«
Eisenfuß war verwirrt. »Entschuldigt, Lord Everess, aber wenn Ihr keine Führung durch den Krater wünscht, warum seid Ihr dann hier?«
»Wegen Euch«, sagte Everess. »Ich kam wegen Euch, Meister Falores.«
»Bitte nennt mich doch Eisenfuß. Wie alle anderen auch.«
»Freilich«, sagte Everess. »Nun, gibt es hier irgendwo einen Platz, an dem es nicht stinkt wie in einer Gerberei und wo wir unter vier Augen reden können?«
»Morgens kommt der Wind von Norden, sodass die Luft unten am Fluss um diese
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