Schattenspäher
um sich mit dem befehlshabenden General der Unseelie zu treffen. Tief verbeugten sich die beiden Heeresführer voreinander und tauschten die üblichen Höflichkeiten aus. Dann verständigte man sich darauf, die unabwendbare Schlacht bei Sonnenaufgang stattfinden zu lassen. Alles sehr zivilisiert.
Als Mauritane wieder zurückkehrte, schlugen seine Truppen am südlichen Abhang des Tals schon ein Lager auf. Sein Adjutant, Oberst Nyet, trat auf ihn zu und nahm ihn beiseite.
»Da will Euch jemand sprechen.« Nyet zeigte mürrisch ins Lager hinein.
Baron Glennet war zusammen mit einer Senatsdelegation eingetroffen; auch Lord Everess war mit dabei. Doch Baron Glennet war der führende Aristokratenvertreter hier, und es war unzweifelhaft sein großer Auftritt. Es war eine althergebrachte Tradition am Vorabend einer Entscheidungsschlacht, dass ein führendes Mitglied des Adelsstandes das königliche Recht in Anspruch nehmen durfte, die Einheit anzuführen. Eine reine Formalität natürlich. Glennet würde die Truppen abschreiten und eine glorreiche Rede halten, in der er jede Menge Plattitüden von sich gab. Den Soldaten würde es gefallen und Glennets Ego ebenfalls. Am Morgen der Schlacht dann würde er das Kommando großzügig wieder an Mauritane übergeben und zu Hause in sein warmes Bettchen schlüpfen, nicht ohne zuvor vom Senat für seinen Mut gepriesen worden zu sein. In der offiziellen Geschichtsschreibung dann würde Baron Glennet als Feldherr des Sturms auf Elenth genannt werden und nicht Mauritane. So war es Brauch, und die meisten Kommandanten akzeptierten dies.
Mauritane begrüßte Glennet und Everess nach allen Regeln der Etikette. Er verhielt sich Glennet gegenüber nicht unhöflicher, als er es gerade erst gegenüber dem Unseelie-General getan hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Mauritane den gegnerischen General respektierte. Der Truppenbesuch fand unter den Augen von Glennets Gefolge und Mauritanes Offizieren statt. Als einfacher Bürger und Militär erwartete man von Mauritane nun einen Kniefall vor Glennet, der den Adligen vermutlich in Verzückung geraten ließ.
Der Konvention entsprechend sank Mauritane also auf sein rechtes Knie, beugte das Haupt und präsentierte Glennet sein Schwert. »Ich übergebe Euch das Kommando über meine Truppen und unterwerfe mich Euer Lordschaft Führung.«
Glennet hob die Klinge hoch über seinen Kopf, und die Männer jubelten.
Nachdem dem Protokoll genüge getan worden war, kamen Mauritane, Everess und Glennet zu einem weniger förmlichen Treffen vor dem Kommandanten-Zelt zusammen.
»Ich muss sagen, der plötzliche Wechsel Eurer Strategie hat uns alle sehr überrascht«, meinte Glennet.
»Ja, das war der Plan«, gab Mauritane zurück.
»Ihr hättet zumindest uns darüber informieren können«, nörgelte Everess.
»Ein Geheimnis bleibt nicht lange geheim, wenn man es überall herumerzählt«, sagte Mauritane. »Das hat mich schon meine Mutter gelehrt.«
»Gewiss«, murmelte Everess, »und dennoch ...«
Nach dem Abendbrot hielt Glennet seine flammende Rede vor den Truppen. Das, was Mauritane davon mitbekam, war zweifellos mitreißend und würde seinen deprimierten Männern gewiss neuen Mut machen. Sicher, sie waren Seelie-Soldaten, tapfer und tüchtig, doch dieser Feldzug war bisher alles andere als einfach gewesen.
Als die Ansprache vorbei war, reichte Mauritane Glennet die Hand und dankte ihm aufrichtig für sein Kommen. Bevor er wieder zurück an die Arbeit gehen konnte, trat ihm Lord Everess in den Weg. Er hielt einen kleinen Aktenkoffer vor sich.
»Ich möchte Euch ein paar Dinge zeigen, General.« Everess tätschelte den Koffer.
»Danke, aber ich benötige keine militärische Ratschläge«, gab Mauritane zurück.
»Oh, das sind mitnichten militärische Dokumente, und ich schätze, Ihr werdet Euch sehr für die damit verbundene Geschichte interessieren.«
Der Morgen dämmerte, und Mauritane war bereit. Er hatte am Abend nur kurz geschlafen und war seit Mitternacht mit Vorbereitungen beschäftigt gewesen. Er hatte sein Bestes getan. Vermutlich würde er an diesem Morgen in seinen sicheren Tod reiten, aber nun gab es kein Entrinnen mehr. Wenn er sich jetzt zurückzog, würden die Unseelie-Truppen im Südwesten einfach die Richtung wechseln und ihnen den Weg abschneiden. Damit wären sie zwischen zwei gigantischen Unseelie-Verbänden eingekesselt. Der einzige Ausweg bestand darin, Elenth einzunehmen.
Als die Sonne über den östlichen
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