Schattenspäher
Paradoxerweise hatte er sich gleichzeitig nie besser gefühlt. In was auch immer er an diesem Abend eingetaucht war, es schien ihm irgendwie gutgetan zu haben, und doch ... es war schwer zu beschreiben. Jedron meinte, dass das seltsame Gefühl schon bald vorbeigehen würde. »Das gehört einfach dazu«, sagte er. Doch mehr sagte Jedron nicht, und Eisenfuß behauptete auf Nachfrage, er wisse darüber ebenfalls nichts Genaues.
Silberdun folgte Eisenfuß an Land und sah sich blinzelnd im Hafen um. Unvermittelt stürmten die Seegeräusche auf ihn ein: die Rufe der Fischer, die im Wind flatternden Segel, das Möwengeschrei. Weiter oben am Pier spielte ein Mann ohne Beine auf einer Okarina für die Leute.
»Ich hoffe, alles lief gut?«, fragte Paet den Meister.
»So gut, wie man's eben erwarten durfte«, erwiderte Jedron. »Der hier«, er rempelte Silberdun leicht an, »war allerdings ein etwas härterer Brocken. Da hat wohl jemand vergessen zu erwähnen, dass sich der junge Perrin Alt an der Nyelcu als Giftmischer betätigt hat.«
Paets Ausdruck blieb unverändert. »Das hat er nicht.«
»Ich hab das Ganze nach einer Woche wieder hingeschmissen«, beeilte sich Silberdun zu erklären. »Das war einfach nichts für mich.«
Jedron warf Paet einen Blick zu, doch der zuckte nur die Achseln. »Nun denn, waren die Schüler also erfolgreich, oder waren sie's nicht?«
»Sie waren«, meinte Jedron, doch sein Gesichtsausdruck schien zu sagen: Aber stellt mich bloß nicht auf die Probe.
»Gut, dann sind wir hier fertig. Ihre Majestät dankt Euch für Eure Dienste.«
Für einen Moment herrschte zwischen den beiden eine fast mit Händen zu greifende Spannung. Dann lachte Jedron. »Du kleiner Scheißer.« Er machte die Leinen los und sprang mit erstaunlicher Behändigkeit wieder an Bord der Treibholz .
Eine Weile stand Paet einfach da und beobachtete, wie die Crew aus mechanischen Seeleuten das Schiff wieder aufs offene Meer hinaussegelte. Silberdun und Eisenfuß warteten neben ihm. Keiner sprach ein Wort.
Nachdem die Treibholz hinter dem Horizont verschwunden war, wandte sich Paet zu Silberdun um und sagte: »Ihr denkt, Ihr hasst diesen Mann, hab ich Recht? Wartet, bis Ihr ihn erst mal so lange kennt wie ich.«
»Und jetzt?«, fragte Silberdun.
»Jetzt geht Ihr nach Hause und ruht Euch aus«, sagte Paet. »Wenn Eure Ausbildung nur halb so anstrengend war wie meine, dürftet Ihr ziemlich erledigt sein.«
»Das will ich meinen«, sagte Eisenfuß. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals so müde gewesen zu sein.«
Paet öffnete seinen Ranzen und reichte Silberdun und Eisenfuß einen kleinen Stapel Dokumente. »Jedem von Euch wird ein neuer Hausdiener zur Seite gestellt«, sagte er.
Silberdun warf einen Blick auf die Papiere. Zuoberst lag das gildenzertifizierte Porträt eines Mannes namens Olou, dem das Außenministerium den Titel »Offizier für Sonderaufgaben« verliehen hatte.
»Olou ist ein guter Mann«, sagte Paet und deutete auf das Porträt.
»Und was ist seine Aufgabe?«, fragte Silberdun.
»Er tut alles, was ein gewöhnlicher Ehrenmann auch tun würde, und darüber hinaus das ein oder andere, was er nicht tun würde. Er ist Euch bei der Wahl der angemessenen Kleidung für einen Einsatz behilflich, er wird Eure Waffen reinigen und pflegen, solche Dinge eben. Darüber hinaus werden ihm auch das Zimmermädchen und der Koch unterstellt werden. Er wird sich also um Euch kümmern, wenn Ihr daheim seid.«
»Das sind ja schöne Aussichten«, meinte Eisenfuß.
»Sobald Ihr zu Hause eingetroffen seid, übermittelt ihm die Losung: ›Der Meister ist zurück.‹ Er sollte Euch sodann antworten: ›Und es könnte keinen schöneren Tag dafür geben.‹«
»Ist das nicht ein bisschen paranoid?«, fragte Silberdun. »Denkt Ihr wirklich, ein falscher Diener könnte mich im Schlaf ermorden?«
»Es sind schon die merkwürdigsten Dinge geschehen«, sagte Paet. »Ihr seid nun eine wichtige Investition für das Ministerium. Und wir pflegen unsere Investitionen zu schützen.«
»Ich verstehe.«
»Ach ja«, fügte Paet hinzu. »Olou sagte mir, dass Eure Räumlichkeiten einem Saustall gleichen und dass er mehr Ordnung und Sauberkeit von Euch erwartet, solange er in Euren Diensten steht.«
»Das ist nicht meine Schuld«, erklärte Silberdun. »Ich hatte eine Hausgehilfin, aber die hat gekündigt, weil es Streit gab wegen ihres Lohns.«
»So?«, fragte Paet. »Olou weiß aber aus sicherer Quelle, dass Ihr das Mädchen verführt
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