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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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er von
denen, deren Ankunft er die ganze Zeit herbeigesehnt hatte,
geweckt und weggebracht. Was für eine Ironie des Schicksals,
dachte Leo. Es kann nicht sein, dass es so endet.
    Mit ein paar groben Stößen trieb der Soldat ihn auf einen
mit Fahrzeugen vollgestopften Bauernhof. Überall rote Sterne.
Stimmen blafften aus rauschenden Funkgeräten. Antennen
wippten im schwachen Wind. Soldaten liefen geschäftig umher
und in einem der Ställe erhob ein Rind seine anklagende
Stimme. Ein paar andere fielen ein.
    Leo stolperte über die Schwelle des Bauernhauses. Die Hand
des Mannes hinter ihm packte ihn am Kragen und schubste ihn
in eine Stube mit bedrückend niedriger Decke, in der ein paar
Offiziere ins Gespräch vertieft um einen Tisch herumstanden,
auf dem eine Karte ausgebreitet war. Zigarettenqualm stieg
auf. Die Unterhaltung brach ab, sieben oder acht Gesichter
blickten vom Kartentisch auf und schauten ihn an. Leo hörte,
wie der Soldat hinter ihm eine Meldung machte. Sein Blick
flog von einem zum anderen in der Hoffnung, dass jemand
darunter war, der aussah, als könnte man Vertrauen zu ihm
fassen. Alle trugen die gleichen olivgrünen Uniformen, und
einige hatten außerdem graubraune Mäntel darüber, die sie
unnatürlich breit aussehen ließen. Ein paar von ihnen wirkten
übernächtigt, andere ausgeschlafen. Die meisten schauten mit
einer Mischung aus Neugier und Herablassung zu ihm herüber.
Hier und da blitzte Unmut über die Störung auf.
    Leo hörte, wie der Soldat, dessen Gesicht er immer noch
nicht richtig gesehen hatte, hinter ihm zurücktrat. Ein paar
quälende Sekunden vergingen, in denen niemand etwas sagte.
Einige der Männer am Tisch blickten jetzt auf einen drahtigen
Offizier von etwas über vierzig Jahren mit feinen blonden
Haaren, auffällig breiter Stirn und wasserblauen Augen, der
seine Mütze unter den Arm geklemmt und mit einem dünnen
Rohrstock gerade etwas auf der Karte erklärt hatte. Mit einer
lässigen Bewegung warf er den Stock auf den Tisch und kam
auf Leo zu. Er war augenscheinlich der Ranghöchste unter
den Anwesenden. Alle schienen darauf zu warten, dass er das
Wort ergriff.
    Der Offizier trat dicht vor Leo und musterte ihn. Seine Lippen
hatten einen überheblichen Zug, aber sein Blick war eher
taxierend als verächtlich. Und aus irgendeinem Grund war
Leo kein bisschen überrascht, als er in fehlerfreiem Deutsch
angesprochen wurde.
    »Es wurde gemeldet, dass in dem Feuerwehrschuppen ein
Spion aufgegriffen wurde.«
    Der Blonde verschränkte die Arme hinter dem Rücken, trat
einen Schritt zur Seite und senkte den Kopf, als grübelte er
über etwas nach, was ihn zu irritieren schien. Dann ging er
mit bedächtigen Schritten um Leo herum. Leo traute sich
nicht, ihm mit seinen Blicken zu folgen. Hinter seinem Rücken
wurden ein paar unverständliche Sätze gemurmelt, dann
tauchte der Blonde auf der anderen Seite wieder neben ihm
auf.
    »Aber seit wann lassen sich deutsche Spione im Schlaf überrumpeln?«
    Seine Aussprache war fast perfekt. Er machte noch eine unendlich
langsame Runde, dann stand er wieder direkt vor Leo.
»Also, mit wem haben wir das Vergnügen?«
    »Leo Goldstein«, sagte Leo leise, ohne nachzudenken. Wie
merkwürdig und unbenutzt dieser Name auf einmal klang.
    Der Offizier machte eine Bemerkung auf Russisch über die
Schulter, die für verhaltene Erheiterung sorgte.
    »Du lügst«, sagte er. Es klang wie eine simple Feststellung.
»In Deutschland heißt man nicht mehr Leo Goldstein.« Wieder
ein Kommentar zu den anderen. Wieder Gelächter, diesmal
etwas lauter.
    »Ist das nicht komisch?«, fragte der Offizier und drehte eine
weitere Runde um Leo herum. Es war totenstill im Raum,
während draußen ein Motor aufröhrte. Einer der Männer am
Kartentisch blies eine Rauchwolke in die Luft, die unter der
Decke entlangwallte.
    »Leo Goldstein. Bis vor ein paar Tagen war es in diesem
Land lebensgefährlich, so zu heißen«, sagte der Blonde in seinem
irritierend geschliffenen Deutsch, und immer noch war
nicht zu erkennen, ob ihn das eher amüsierte oder verärgerte.
Dann packte er Leo plötzlich am Kinn und zog sein Gesicht
ganz nah vor sein eigenes. Seine Augen schienen sich in Leos
Gehirn zu bohren.
    »Und kaum sind wir da, reißen sich alle um die Namen
von Leuten, die es gar nicht mehr geben darf. Habt ihr diese
armen Teufel nicht schon genug ausgeplündert? Bevor ihr sie
umgebracht habt?«
    Ein drittes Mal wandte er sich auf Russisch an die anderen.
Diesmal wurde nicht

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