Schattenspieler (German Edition)
Weimar.«
»Woher …«
»Weil ich besser aufpasse als du.« Es klang gereizt. »Er ist uns
entgegengekommen, als wir in Dessau an der abgebrannten
Brücke zurückmussten. Und am Kontrollpunkt vor Wittenberg
war er auf einmal hinter uns. Auf einem Krad.«
»Warum hast du nichts gesagt?«
»Weil ich mir zuerst nichts dabei gedacht habe, du Ochse.
Und weil ich den ganzen Rest des Weges keinen hinter uns
gesehen habe. Er ist wohl ohne Licht gefahren.«
»Was dir alles auffällt.«
»Was dir alles nicht auffällt.« Die Gereiztheit war stärker
geworden.
»Ist ja gut. Jetzt steck die Pistole weg.«
»Nein.« Die heisere Stimme klang plötzlich eiskalt. Der Arm
mit der Pistole hob sich wieder. Der Lichtkegel der Lampe
ruckte hoch und sprang dem knienden Soldaten direkt ins
Gesicht. Der schien von einem Augenblick auf den anderen zu
begreifen, dass er nichts mehr gegen das unternehmen konnte,
was nun geschehen würde.
»Warum?«, fragte er mit brüchiger Stimme.
»Weil ich dich nicht mehr gebrauchen kann.«
»Aber …«
»Und weil du außer mir der Einzige bist, der weiß, was sich
in den achtundzwanzig Kisten befindet. So einfach ist das.«
Wieder knallte ein Schuss, der Leo durch Mark und Bein
ging. Er zog den Kopf ein und duckte sich ganz tief hinter
das Sofa. Das Letzte, was er vor sich sah, war das entsetzte
Gesicht des knienden Mannes, der wusste, dass er gleich tot
sein würde, und es trotzdem nicht fassen konnte.
»So einfach ist das«, wiederholte die heisere Stimme etwas
leiser. Dann hörte Leo Schritte, die sich entfernten, Kies
knirschte gedämpft und eine Autotür klappte zu. Nach einer
Weile wurde der schwere Motor angelassen und brüllte auf, als
der Lastwagen anfuhr und sich langsam entfernte.
Leo hätte hinterher nicht mehr sagen können, wie lange er
so hinter dem Sofa gekauert hatte. Irgendwann stand er wie
benommen auf und schlich durch die Halle, als fürchtete er,
die beiden Toten könnten nach seinen Füßen greifen, wenn
er nur das leiseste Geräusch machte.
Kaum hatte er das Portal hinter sich gelassen, rannte er los,
hetzte über den Kiesweg, der am Ende des Schlosshofes in
eine kleine Allee überging, und hielt erst an, als diese auf eine
Landstraße traf. Er zögerte eine Weile, dann bog er nach rechts
ab und folgte der Straße. Leo spürte, wie die Kräfte ihn langsam
verließen. Hunger hatte er nicht mehr, dafür kehrte die
Müdigkeit zurück und verdrängte die Aufregung.
Nach etwa einer halben Stunde wurde am Horizont die
Silhouette eines Dorfes sichtbar: ein kleiner spitzer Kirchturm,
ein paar geduckte Dächer zwischen Baumkronen. Der
Himmel dahinter hatte einen ersten Dunkelblaustich bekommen.
Jetzt erst merkte Leo, dass auch ein paar Sterne zu sehen
waren. Die Wolken hatten sich verzogen und bald würde ein
sonniger Frühlingstag anbrechen.
Mit jedem Schritt, den Leo sich auf das Dorf zuschleppte,
fühlte sich sein Körper schwerer an. Noch vor dem Ortsschild
erschien auf der rechten Straßenseite ein Feuerwehrschuppen.
Wie ein Schlafwandler griff Leo nach der Türklinke. Das Tor
schwang auf. Innen war es stockdunkel. Leo stieß mit dem
Fuß an etwas Weiches, und einen Moment lang durchzuckte
ihn der Gedanke, dass auch dort jemand lag, aber als er es
vorsichtig mit dem Fuß betastete, fühlte er, dass es ein Haufen
aus Decken war. Ein Geschenk des Himmels, dachte er,
dann ließ er sich zu Boden sinken und rollte sich ein, ohne
einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, was hier
vielleicht noch alles liegen könnte.
Kurz bevor er einschlief, tauchte vor seinem inneren Auge
wieder das grell angeleuchtete Gesicht des Mannes in dem
Jagdschloss auf, der mit dieser Mischung aus Fassungslosigkeit
und Ergebenheit seiner Hinrichtung entgegensah. Das Bild
ging über in wirre Träume, unterbrochen von Tauchgängen
in bleierne Tiefen. Irgendwann sah Leo sich selbst am Boden
liegen. Etwas leuchtete ihm ins Gesicht. Eine Kirchenglocke
läutete. Jemand stieß ihn mit dem Fuß an. Als er die Augen
aufschlug, sah er als Erstes ein Paar Stiefel.
Der Kasten enthielt eine Rolle aus Ölpapier, in die etwas eingewickelt
war. Friedrich nahm die Rolle heraus und entfernte
vorsichtig das Papier. Ein graubraunes Stück Stoff kam zum
Vorschein. Aufgerollte Leinwand.
Friedrich legte das röhrenförmige Ding behutsam auf den
Tisch und es entrollte sich fast von selbst. Ungläubig starrte er
auf das, was da zum Vorschein kam. Es war ein Bild, ein Gemälde,
Öl auf Leinwand, glaubte Friedrich
Weitere Kostenlose Bücher