Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
Vom Netzwerk:
Wasser aus einem Eimer ins Gesicht. Zwischen den Fahrzeugen
lümmelten sich ein paar andere auf einem rosafarbenen
Sofa, das sie zusammen mit einem Esstisch und ein paar
Stühlen aus dem Haus geschleppt hatten. Sie redeten laut und
ungeniert durcheinander, und einer, dem die Mütze schief auf
dem Kopf saß, zeigte auf Leo und rief: »Idi sjuda, idi sjuda!«
Er wedelte einladend mit der Hand.
    Leo trat näher. Am Tisch saßen fünf Russen, von denen zwei
fast noch aussahen wie Kinder. Das Alter der anderen drei war
schwer zu schätzen. Sie hatten tiefe Furchen im Gesicht, die
sie wie alte Männer aussehen ließen, und wenn sie lachten, sah
man hier und da Zahnlücken. Auf den zweiten Blick erkannte
Leo, dass keiner von ihnen auch nur älter war als dreißig. Wie
schon bei den Offizieren im Haus, so war auch an diesen Männern
wenig Einheitliches: Die Uniformen hatten unterschiedliche
Farbtöne zwischen Ockerbraun und Olivgrün, einem
war die Jacke zu klein, dem anderen die Stiefel zu groß. Und
obwohl keiner von ihnen richtig gesund aussah, waren alle bei
bester Laune und offenbar zu derben Späßen aufgelegt.
    Der, der Leo aus dem Feuerwehrschuppen geholt hatte,
redete auf die anderen ein, unterbrochen von johlenden Zwischenrufen,
dann kam er um den Tisch und zog Leo am Arm
heran. Er fuchtelte mit seinen riesigen Pranken herum, dann
schlug er Leo auf die Schulter und zeigte auf die Stelle, wo der
Stern gesessen hatte. Kommentare schwirrten durcheinander,
und nach und nach standen alle auf und besahen sich die
Stelle, zupften an der Jacke herum und bestätigten sich etwas.
Dann nahm einer eine dampfende Kaffeekanne vom Tisch,
holte eine Wodkaflasche aus seiner Tasche, kippte den Inhalt
in die Kanne und verteilte das Gebräu auf ein paar zerbeulte
Blechtassen. Ehe Leo sich versah, hatte er eine der Tassen in
der Hand und wurde in die Polster des Sofas gedrückt.
    »Kak tebja sawut?«, fragte der mit der schiefen Mütze und
zeigte auf ihn. Als Leo nicht sofort begriff, beugte er sich vor
und stieß ihm mit dem Finger gegen die Brust. »Du. Name.«
    Leo grinste. »Leo.«
    »Leo«, wiederholte die Runde mehrstimmig. »Trinken«,
sagte einer, hob den Becher und die anderen machten es ihm
nach. Leo überwand seinen Abscheu und trank einen Schluck.
Wie erwartet schmeckte es ekelhaft und tat dennoch gut.
    »Kak tebja sawut?«, fragte er zurück. Anerkennendes Johlen
war die Antwort. Der mit der schiefen Mütze zeigte mit dem
Daumen auf sich selbst und sagte: »Iwan.« Alle lachten. Der, der
neben ihm saß, zeigte jetzt ebenfalls auf sich: »Iwan.« Wieder
Gelächter. Dann der Dritte: »Iwan.« Und der Vierte: »Iwan.«
Als der Fünfte sich ebenfalls als Iwan vorstellte, musste er so
losprusten, dass er das Kaffeegemisch auf den Hof spuckte.
    Als von hinten etwas gerufen wurde, drehten sich alle um.
Unter dem großen Jubel aller Soldaten kam ein dicker Mongole
aus dem Bauernhaus, der unter jedem Arm einen Schinken
trug. »Sawtrak!«, schrie er quer über den Hof, dann kam
er herüber, knallte die Leckerbissen auf den Tisch und begann,
dicke Scheiben abzuschneiden und zu verteilen.
    Während alle schmatzend kauten, schien der mit den großen
Händen jetzt noch einmal zu berichten, wie er Leo gefunden
hatte. Er kreuzte die Arme vor der Brust, kauerte sich zusammen
und schloss die Augen. »Joschek«, rief einer. Wieder lachten
alle. »Joschek«, wiederholten sie und schlugen Leo erneut
auf die Schulter, der sich irritiert umblickte. Sie versuchten
etwas zu erklären, formten kleine Kugeln mit den Händen,
dann schien einer einen Geistesblitz zu haben, kramte einen
Zettel und einen Bleistift hervor und zeichnete in schnellen
Strichen und unter dem Applaus der anderen einen Igel auf
das Papier.
    »Joschek«, sagte er noch einmal, nahm die Mütze ab und
setzte sie Leo schief auf den Kopf. »Trinken, Joschek.«
    Leo nahm noch einen Schluck von dem Zeug. Na wunderbar,
dachte er. Mein neues Leben: Gefreiter Joschek von der
Roten Armee.

Der Posten hob die Hand. Sommerbier lenkte den Lastwagen
auf die Straßensperre aus quer gestellten Straßenbahnwaggons
zu und verlangsamte. Es war das erste Mal, dass er angehalten
wurde, seit er in der Dunkelheit aufgebrochen war. Die ganze
Fahrt über hatte er fast mehr in den Rückspiegel geblickt als
durch die Windschutzscheibe. Diesmal war er sicher, dass
ihn keiner verfolgt hatte, aber der Gedanke, dass es in der
Nacht jemand geschafft hatte, ihnen bis zu diesem verdammten
Schlösschen

Weitere Kostenlose Bücher