Schattenstunde
Schmuckelemente. Eine Schaukel auf einer Veranda, die um das halbe Haus herumführte.
Zwei Frauen. Die erste, grauhaarig und breithüftig, kam auf uns zu, um mich zu begrüßen. Die verkniffenen Augen der Jüngeren folgten mir. Sie hatte die Arme verschränkt und zeigte deutlich, dass sie mit Schwierigkeiten rechnete.
Eine lange schmale Treppe hinauf. Die ältere Frau – eine Krankenschwester, die sich als Mrs. Talbot vorstellte – gab zwitschernd die Fremdenführerin, aber mein wattiges Gehirn nahm nichts davon auf.
Ein Schlafzimmer, weiß und gelb mit Margeritendekor, das nach Haargel roch.
An der gegenüberliegenden Wand ein breites Bett, dessen Steppdecke nachlässig über zerknüllte Laken gezerrt worden war. Die Wand über dem Bett war mit Seiten aus Teenager-Zeitschriften geschmückt. Die Kommode mit Make-up-Tuben und Flaschen bedeckt. Nur der winzige Schreibtisch war leer.
Meine Hälfte des Zimmers war das sterile Spiegelbild: das gleiche Bett, die gleiche Kommode, der gleiche winzige Schreibtisch, alles Persönliche eliminiert.
Dad und Tante Lauren mussten gehen. Mrs. Talbot erklärte, ich würde sie ein paar Tage lang nicht zu sehen bekommen, da ich Zeit brauchte, um mich in meiner neuen Umgebung »einzugewöhnen«. Wie ein Haustier in einer neuen Wohnung.
Ich nahm Tante Lauren in den Arm und tat so, als würde ich ihre Tränen nicht sehen.
Dann eine verlegene Umarmung von Dad. Er murmelte, dass er in der Stadt bleiben und mich besuchen würde, sobald man es ihm erlaubte. Dann drückte er mir ein Bündel Geldscheine in die Hand und küsste mich auf den Scheitel.
Mrs. Talbot, die mir mitteilte, sie würden meine Sachen wegräumen, weil ich ja wahrscheinlich müde war. Leg dich einfach ins Bett. Die Jalousie wurde heruntergelassen. Das Zimmer wurde dunkel. Ich schlief wieder ein.
Die Stimme meines Vaters, die mich weckte. Zimmer jetzt vollkommen dunkel, Schwärze draußen. Nacht.
Dad als Schattenriss in der Tür. Die jüngere Schwester, Miss Van Dop, hinter ihm, das Gesicht missbilligend verzogen. Mein Vater trat neben mein Bett und drückte mir etwas Weiches in die Arme. »Wir haben Ozzie vergessen. Ich war mir nicht sicher, ob du ohne ihn schlafen kannst.« Der Koalabär, der seit nunmehr zwei Jahren in meinem Zimmer auf dem Regal gesessen hatte, aus meinem Bett verbannt, als ich für ihn zu alt geworden war. Aber jetzt nahm ich ihn und vergrub die Nase in seinem abgewetzten Kunstpelz, der nach Zuhause roch.
Ich wachte von dem pfeifenden Atem des Mädchens in dem anderen Bett auf. Ich sah zu ihr hinüber, konnte aber nichts erkennen als eine Gestalt unter der Decke.
Als ich mich auf den Rücken drehte, liefen mir heiße Tränen über die Wangen. Kein Heimweh. Scham. Verlegenheit. Demütigung.
Ich hatte Tante Lauren und Dad einen Schreck eingejagt. Sie hatten hastig entscheiden müssen, was sie mit mir anfangen sollten, was mit mir nicht stimmte, wie man es in Ordnung brachte.
Und in der Schule …
Meine Wangen brannten heißer als meine Tränen. Wie viele von den Schülern hatten mich schreien hören? Einen Blick in das Klassenzimmer hineinwerfen können, während ich gegen die Lehrer ankämpfte und etwas davon faselte, dass ich von geschmolzenen Hausmeistern verfolgt wurde? Gesehen, wie ich auf eine Trage geschnallt weggebracht wurde?
Jeder, der die Vorstellung verpasst hatte, würde inzwischen davon gehört haben. Jeder würde wissen, dass Chloe Saunders ausgerastet war. Dass sie verrückt war, durchgeknallt, weggesperrt wie die anderen Bekloppten.
Selbst wenn sie mich an die Schule zurückkehren ließen, ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich jemals den Mut haben würde, wieder hinzugehen.
5
I ch wachte von dem klingelnden Geräusch von Metallbügeln auf. Ein blondes Mädchen sah Kleidungsstücke durch, von denen ich mir ziemlich sicher war, dass es meine waren. Mrs. Talbot musste sie gestern noch aufgehängt haben.
»Hallo«, sagte ich.
Sie drehte sich zu mir um und lächelte. »Schöne Sachen. Teure Marken.«
»Ich bin Chloe.«
»Liz. Wie Lizzie McGuire.« Sie schwenkte die Hand zu einem alten und verblichenen Zeitschriftenausschnitt an ihrer Wand hinüber. »Nur dass ich mich nicht Lizzie nenne, weil ich finde, dass es irgendwie …«, sie senkte die Stimme, als wollte sie die Lizzie auf dem Foto nicht kränken, »… babymäßig klingt.«
Sie redete weiter, aber ich bekam nichts davon mit, weil ich nur an eins denken konnte: Was stimmt nicht mit ihr? Wenn sie in
Weitere Kostenlose Bücher