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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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mag?«
    »Was? Nein, natürlich nicht. Derek ist nicht … Er hat einen Fehler gemacht. Er hat mir nicht wirklich weh getan, und er hatte auch nicht vor, es zu tun. Es war ein Missverständnis.«
    Sie streckte den Arm aus und griff nach meiner Hand. »Oh, Chloe. Liebes, nicht. Darauf kannst du nicht hereinfallen. Du darfst nicht anfangen, Entschuldigungen für ihn zu finden.«
    »Entschuldigungen?«
    »Vielleicht ist das der erste Junge, der jemals zu dir gesagt hat ›Ich mag dich‹, und ich weiß, was für ein gutes Gefühl das ist. Aber er wird nicht der letzte Junge sein, der dich mag, Chloe. Er ist einfach der Erste, der den Mut hat, es dir zu sagen. Er ist älter. Er hat die Situation ausgenutzt. Ich nehme an, in der Schule würde ihm kein Mädchen einen zweiten Blick schenken, und hier ist er unter einem Dach mit einem hübschen Mädchen, jung, leicht zu beeindrucken, ohne Fluchtmöglichkeit …«
    »Tante Lauren!« Ich riss mich los. »Herrgott, das ist jetzt wirklich nicht …«
    »Du kannst Besseres finden, Chloe. Viel Besseres.«
    An dem Widerwillen in ihrem Gesicht bemerkte ich, dass sie nicht darüber sprach, wie Derek mich behandelt hatte. Ich spürte ein merkwürdiges Gefühl aufwallender Empörung. Ja sicher, auch ich hatte es nicht fertiggebracht, so zu tun, als hätte ich mit Derek herumgeknutscht. Aber ich hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich so gedacht hatte.
    Dereks Äußeres war nicht seine Schuld. Ganz offensichtlich wusste er sehr gut, wie er aussah – und wie andere darauf reagierten –, und es war ja nicht so, dass er absichtlich versuchte, abstoßend zu wirken. Ein erwachsener Mensch sollte es besser wissen. Tante Lauren sollte es sein, die mir die Man-soll-ein-Buch-nicht-nach-dem-Umschlag-beurteilen-Predigt hielt.
    Jedes Bedürfnis, Tante Lauren die Wahrheit zu gestehen, verflog. Sie sah Derek an und sah einen Widerling, der ihre Nichte belästigt hatte. Nichts, was ich sagen konnte, würde sie eines Besseren belehren, denn er
wirkte
wie ein Widerling. Und nichts, was ich sagen konnte, würde sie davon überzeugen, dass ich wirklich Geister sah, denn ich
wirkte
schizophren.
    »Hast du nicht vor zu antworten, Chloe?«
    »Warum?« Ich hörte die Kälte in meiner Stimme. »Ich hab’s versucht. Du hast dich längst für eine Erklärung entschieden.«
    Sie verlagerte ihr Gewicht, schob sich auf ihrem Stuhl nach vorn, schloss die Lücke zwischen uns. »Ich würde gern deine Sicht der Dinge hören.«
    »Bloß weil ich in diesem Haus bin, bloß weil ich ›krank‹ bin, bedeutet das nicht, dass ich jemand anderes bin als noch vor einer Woche. Damals hättest du gewusst, dass an dieser Geschichte etwas nicht stimmt. Du hättest mich nach meiner Erklärung gefragt,
bevor
du mir irgendwelche Vorwürfe machst. Aber jetzt?« Ich stand auf. »Jetzt bin ich einfach nur noch die Verrückte.«
    »Chloe, ich glaube nicht …«
    »Ich weiß genau, was du glaubst«, sagte ich und ging aus dem Zimmer.
     
    Tante Lauren versuchte mir zu folgen, aber ich weigerte mich zuzuhören. Ich war zu wütend. Zu verletzt. Zu glauben, ich hätte in einem Kriechkeller mit dem ersten Jungen herumgeknutscht, der jemals Interesse an mir gezeigt hatte? Das tat weh.
    Der Himmel mochte wissen, was sie glaubte, das wir getan hatten. Ich war mir ziemlich sicher, dass ihre Vorstellungen ein ganzes Stück über die Erster-Kuss-Phase hinausgingen. Und sich einzubilden, ich würde von »noch nie eine Verabredung mit einem Jungen gehabt« augenblicklich dazu übergehen, mich mit einem Fast-Fremden im Dreck herumzuwälzen? Das war beleidigend. Schlimmer als beleidigend. Es machte mich fuchsteufelswild.
    Wusste Tante Lauren eigentlich
irgendetwas
über mich? Und wenn sie es nicht wusste, wer wusste es dann?
    Nachdem klargeworden war, dass ich nicht vorhatte, mich »abzuregen« und weiter mit meiner Tante zu reden, kam der Zeitpunkt für die nächste Stufe. Die Verhandlung. Ich wurde wieder ins Sprechzimmer gerufen, mit Derek als Mitangeklagtem und Dr. Gill und Dr. Davidoff als Richter und Jury. Es war eine geschlossene Verhandlung, nicht einmal Tante Lauren war zugelassen.
    Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ihrer Begründung dafür, warum wir uns in dem Kriechkeller aufgehalten hatten, zu widersprechen. Die »O Gott, ich will nicht, dass jemand mich für die Sorte Mädchen hält«-Phase hatte ich jetzt endgültig hinter mir. Wenn sie sich einbildeten, Derek und ich hätten uns in dem Dreck dort befingert, dann

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