Schattenstunde
bedeutete das immerhin, dass sie nicht mehr nach Spuren unserer Aktivitäten suchen würden. Und sollten sie es doch tun, dann würden sie zu wissen glauben, wie die zustande gekommen waren.
Trotz allem, was Tante Lauren glauben mochte, war ich mir sicher, dass Derek über die Theorie genauso entsetzt war wie ich. Als Dr. Gill versuchte, ein Geständnis aus ihm herauszubekommen, zuckte er lediglich die Achseln und murmelte »Was auch immer«, die Arme verschränkt, die wuchtige Gestalt auf dem Stuhl zusammengesackt, die Zähne trotzig zusammengebissen. Ebenso wie mir musste ihm klar sein, dass es keinen Zweck hatte zu widersprechen, aber gestehen würde er auch nicht.
»Das ist nicht das erste Mal, dass ihr beide … aneinandergeraten seid«, sagte Dr. Gill schließlich. »Und ich habe das Gefühl, es wird nicht das letzte Mal sein. Wir müssen dies im Keim ersticken, und die einzige sichere Methode, das zu tun, ist es, einen von euch zu verlegen. Einer wird gehen müssen.«
»Ich gehe.« Ich hörte die Worte und brauchte einen Moment, bis mir aufging, dass sie aus meinem Mund gekommen waren.
War ich jetzt eigentlich wirklich verrückt geworden? Freiwillig meine Verlegung vorzuschlagen, wenn ich mir schon jetzt Sorgen darüber machte, was so eine Verlegung bedeuten mochte?
Aber ich nahm es nicht zurück. Wenn einer von uns gehen musste, dann sollte ich es sein. Sosehr ich mich auch vor dem Gedanken fürchtete, weggebracht zu werden, ich würde Simon und Derek nicht voneinander trennen.
Trotzdem erwartete ich, dass Derek sich einschalten würde. Ich weiß nicht warum. Ganz sicher nicht aus Ritterlichkeit. Aber es wäre mir nur richtig vorgekommen, wenigstens der Form halber zu protestieren. Aus Höflichkeit … was vermutlich hinreichend erklärte, weshalb er auch jetzt kein Wort sagte.
»Niemand geht irgendwohin«, sagte Dr. Davidoff leise. »Im Augenblick verwarne ich euch beide nur. Aber gebt mir keinen Grund, noch einmal auf dieses Thema zurückkommen zu müssen. Habt ihr mich verstanden?«
Wir hatten.
30
A ls die Ärzte uns gehen ließen, gingen Derek und ich zusammen auf den Gang hinaus. Ich versuchte zu trödeln, rieb an einem imaginären Fleck auf meinem T-Shirt herum und gab ihm Zeit, vorauszugehen, um eine verlegene Unterhaltung zu vermeiden. Stattdessen baute er sich vor mir auf, die Arme verschränkt, während seine Finger vor Ungeduld auf seinen Bizeps trommelten.
Ich rief mir ins Gedächtnis, dass er mich gerettet hatte. Ich sollte ihm dankbar sein. Ich war es auch. Gerade in diesem Moment aber … ich weiß nicht. Der Kopf tat mir weh, und die Vorwürfe meiner Tante verfolgten mich immer noch. Und dass ich mich erboten hatte, mich verlegen zu lassen, und er nicht widersprochen hatte, kränkte mich. Ich wollte nicht, dass es das tat. Aber es kränkte mich trotzdem.
»Was wischst du da rum?«, fragte er schließlich im Flüsterton.
»Ein Fleck.«
»Da ist kein Fleck.«
Ich richtete mich auf, zog mein T-Shirt nach unten und rückte es zurecht. »Weil ich ihn gerade weggekriegt habe.«
Ich versuchte an ihm vorbeizugehen. Er rührte sich nicht von der Stelle.
»Wir müssen reden«, flüsterte er.
»Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?«
»Simon wird auch da sein«, sagte er. »In fünf Minuten. Hinten im Garten.«
Ich war wirklich nicht der Ansicht, dass es sich empfahl, mich dabei erwischen zu lassen, wie ich mit Derek herumhing. Nicht mal, wenn Simon auch da war. Also war ich fünf Minuten später im Medienzimmer, lungerte auf dem Zweiersofa herum, hörte Musik auf meinem iPod und versuchte, mich in ihr zu verlieren.
Als ein Schatten über mich hinwegglitt, fuhr ich hoch.
Rae stand dort, beide Hände hochgereckt. »Bleib, bin bloß ich.«
Ich nahm die Stöpsel aus den Ohren.
Sie legte ihr Sweatshirt über einen Stuhl. »Und, was ist passiert?«
»Nicht das, was alle Leute denken.«
»Ach nee.«
Sie richtete sich auf der anderen Seite des Sofas ein, zog die Füße hoch und ein Kissen auf ihren Schoß, machte es sich bequem und wartete auf die eigentliche Geschichte. Sie kannte mich noch nicht mal eine Woche lang, aber
sie
wusste genau, dass ich nicht in einem Kriechkeller mit Derek herumgeknutscht hatte.
»Ich erzähl’s dir später«, murmelte ich, »wenn wir unsre Ruhe haben.«
»Aber du erzählst’s mir doch wirklich, oder?«
Ich nickte.
»Gut. Und, wie ist es gegangen?«
Ich erzählte ihr von der Unterredung mit den Ärzten und von Tante Lauren. »Es
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