Schattenstunde
machte
Gah-gah-gah
-Geräusche, als versuchte sie zu sprechen.
Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Gar nicht so einfach, wenn ich genau wusste, was es war, das mich berührte und gegen meine Seite drückte …
Schluss jetzt!
Ich konzentrierte mich stattdessen auf Dereks Atem. Langsame, tiefe Atemzüge durch den Mund. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben.
Tief einatmen. Tief einatmen. Finde einen Punkt innerer Ruhe. Den Ort der Kreativität.
Langsam begannen die Geräusche und Berührungen und Gerüche der wirklichen Welt in den Hintergrund zu treten. Ich kniff die Augen zusammen und ließ mich von meiner Vorstellungskraft davontreiben. Ich konzentrierte mich auf die Körper, stellte mir vor, wie ich die Geister aus ihnen hervorzog und der Freiheit übergab, als wären sie Käfigtauben, die nun in die Sonne hinaufstiegen.
Ich ließ die Bilder immer wieder vor meinem inneren Auge vorbeiziehen, befreite die Geister, wünschte ihnen alles Gute und bat sie um Entschuldigung, als ich sie davonschickte. Undeutlich hörte ich Dereks Stimme, die mir sagte, dass ich gute Arbeit leistete, aber sie schien wie in einem Traum am Rand meines Bewusstseins zu treiben. Die wirkliche Welt war hier, wo ich meinen Fehler gutmachte, Abbitte leistete …
»Sie sind weg, Chloe«, flüsterte er.
Ich brach ab. Ich spürte die Knochenfinger immer noch, diesmal an meinem Bein, wo ein Körper an meinem lehnte, aber er bewegte sich nicht mehr. Als ich mich zur Seite drehte, fiel die Leiche zurück, eine leere Hülle, die vor meinen Füßen zusammensackte.
Derek stieß einen langen Atemzug aus und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Einen Moment später fragte er mich, fast als sei es ihm nachträglich noch eingefallen, ob mit mir alles in Ordnung war.
»Ich werd’s überleben.«
Noch ein zitternder Atemzug. Dann sah er auf die Leiche hinunter.
»Sieht so aus, als hätten wir noch eine Menge Arbeit vor uns.«
29
M it »Arbeit« meinte er Aufräumarbeiten. Wie »die Leichen wieder begraben«. Ich möchte dazu nur sagen, dass ich froh war, dass es selbst bei geöffneter Luke noch zu dunkel war, um sie sonderlich gut sehen zu können.
Ihre Gräber waren flach, jeweils kaum mehr als eine Handbreit Dreck über den Körpern. So flach, dass sie sich ins Freie hatten graben können, als ihre Geister in ihre Leichen zurückgezerrt worden waren. Aber darüber wollte ich lieber nicht nachdenken.
Es war offenkundig, dass sie schon vor einer ganzen Weile hier begraben worden waren, wahrscheinlich bevor Lyle House zu der Einrichtung geworden war, die es jetzt beherbergte. Und es waren Erwachsene. Für den Augenblick wollte ich gar nicht mehr wissen.
Während wir arbeiteten, fragte ich Derek, wie er mich gefunden hatte. Er erklärte, dass ihm, als er festgestellt hatte, dass Tori zu Hause geblieben war, sofort klar gewesen sei, dass sie irgendetwas vorhaben musste. Deshalb hatte er nach mir gesehen. Wie genau er mich gefunden hatte, verriet er nicht. Er zuckte nur die Achseln und murmelte etwas davon, dass er an »den offensichtlichen Orten« nachgesehen habe, als er mich nicht gleich antraf.
Jetzt stellte sich die Frage, was wir mit Tori machen sollten?
»Gar nichts«, sagte ich und wischte mir die zitternden Hände ab, mit denen ich gerade die Erde über dem zweiten Grab glattgestrichen hatte.
»Hä?«
Schön, dass es zur Abwechslung einmal
er
war, der so reagierte.
»Ich werde so tun, als wäre nichts passiert.«
Er überlegte und nickte dann. »Yeah, du hast recht. Wenn du sie beschuldigst, eskaliert das Ganze nur. Besser, du ignorierst sie und hoffst, sie gibt’s einfach auf.«
»Bete drum, dass sie aufgibt«, murmelte ich, während ich zur Luke kroch.
»Gibt es hier unten noch was Sauberes zum Anziehen?«, fragte Derek.
»Eine Ladung im Trockner, das ist alles. Warum? Ach so, stimmt ja. Wir gehen lieber nicht total verdreckt nach oben.« Ich kletterte die Leiter hinunter. »Das meiste von dem Zeug im Trockner ist deins, also …«
»Chloe? Derek?« Mrs. Talbot stand im Waschkeller. »Was macht ihr zwei hier zusammen? Derek, du weißt genau, du hast dich nicht …« Ihr Blick glitt über meine schmutzigen Sachen hinweg. »Himmel, was ist denn mit dir passiert?«
Es hatte keinen Zweck, bestreiten zu wollen, dass wir in dem Kriechkeller gewesen waren. Sie hatte uns dabei erwischt, wie wir aus dem Abstellraum kamen, ich vollkommen verdreckt. In der Hoffnung, die Nässe in meinem
Weitere Kostenlose Bücher