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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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lernen, jetzt noch ein normales Leben zu führen?«
    Normal.
Ein so einfaches, langweiliges Wort. Seltsam, wie es jetzt zu leuchten schien, wie der sprichwörtliche Regenbogen überm Horizont, ein schimmerndes Versprechen, das für immer außer Reichweite blieb.
    Hier rauszukommen würde nicht bedeuten, dass meine Probleme gelöst waren. Tante Lauren würde ständig auf der Lauer liegen und jeden »abnormalen« Moment, den sie bei mir sah, als ein Zeichen dafür interpretieren, dass ich nach Lyle House zurückgeschickt werden müsste. Oder Schlimmeres.
    Aber wegrennen?
    Ich wusste, was Derek dazu gesagt hätte. Ich sah seinen Gesichtsausdruck geradezu vor mir, das finstere Stirnrunzeln abfälliger Frustration. Ich war nicht mehr Chloe Saunders, die behütete Kunstzugschülerin. Ich war nicht einmal mehr Chloe Saunders, die Schizophrenie-Patientin. Wenn sich Chloe Saunders, die Nekromantin, weiter an die alten Regeln hielt, bestand die Möglichkeit, dass sie in einer Gummizelle enden würde, wo sie etwas von Stimmen faselte, die niemand außer ihr selbst hören konnte.
    Ich war nicht naiv. Ich verfolgte die Nachrichten. Ich wusste, was aus Teenagern wurde, die von zu Hause fortliefen, und dass sie nicht das Leben in grandioser Freiheit fanden, das sie sich vorgestellt hatten. Wie lang würde es dauern, Simons Vater zu finden? Wovon sollten wir in der Zwischenzeit leben? Was würden wir essen? Wo würden wir schlafen? Ich hatte etwas Geld, aber wie lang würde es reichen? Was würde passieren, wenn unsere Fotos in den Fernsehnachrichten auftauchten? Wenn jeder Polizist und jeder besorgte Bürger Ausschau nach uns hielt?
    Ich konnte mich hier verkriechen, die Augen zukneifen und darum beten, dass mir nichts Schlimmes passieren würde. Oder ich konnte die Dinge selbst in die Hand nehmen und aktiv werden.
    Simons verschollenen Vater um Hilfe zu bitten entsprach nicht ganz meinen Vorstellungen von einem konkreten Plan. Aber wenn ich einmal draußen war, konnte ich mich auf die Suche nach Liz machen. Das würde nicht allzu schwer sein. Es gab nur eine begrenzte Anzahl von Krankenhäusern in Buffalo. Aber wenn sie nicht sicher in einem Krankenhaus untergebracht war? Was würde das für uns andere bedeuten? Waren wir in Gefahr? Ich konnte mir nicht bis in alle Ewigkeit die Finger in die Ohren stopfen und so tun, als wäre alles in bester Ordnung.
    »Wenn du abhaust, komme ich mit«, sagte ich.
    »Brauchst du nicht. Ich habe damit nur sagen wollen, dass
ich
hier raus muss, in meinem und Dereks Interesse und inzwischen auch in deinem. Wenn ich Dad gefunden habe, kann er uns helfen.«
    »Und wer soll
dir
helfen? Da draußen?«
    Ein schiefes kleines Lächeln. »Ich habe ja noch die Killernebel-Formel.«
    »Du brauchst Verstärkung. Derek würde sich da wirklich besser eignen, aber du wirst dich wohl mit mir begnügen müssen. Ich komme mit.«

32
    I ch wartete im Jungenbad, hinter dem hohen Schrank versteckt. Bei jedem Geräusch vom Gang her begann mein Herz zu hämmern und teilte mir mit, dass ich im Begriff war, mich auf bisher unerreichte Art lächerlich zu machen.
    Aber falsch war es deshalb nicht. Genau wie Derek konnte ich zwei und zwei zusammenzählen und zu einem Ergebnis kommen. Ich wischte mir die schweißnassen Handflächen an meiner Jeans ab, sah auf die Uhr und betete darum, dass ich zur richtigen Schlussfolgerung gekommen war. Und in gewisser Weise auch darum, dass ich falsch liegen würde.
    Als die Digitalanzeige auf 8:00 sprang, flog die Tür auf. Derek schaltete das Licht ein und schloss die Tür hinter sich. Als er sich in Richtung Spiegel drehte, entdeckte er mich und stieß einen überraschten Schrei aus, den ich unter anderen Umständen höchst befriedigend gefunden hätte.
    »Bist du verrückt?«, zischte er. »Was machst du hier?«
    Ich ging an ihm vorbei und schloss die Tür ab.
    »Wenn du über den Plan reden willst, ist das hier wirklich nicht der beste Ort«, sagte er.
    Er drehte sich um die eigene Achse, um mir mit dem Blick folgen zu können, als ich zur Dusche hinüberging und das kalte Wasser aufdrehte. Es würde unsere Stimmen übertönen, ohne den ganzen Raum mit Dampf zu füllen.
    »Toll«, murmelte er. »Jetzt werden sie glauben, wir duschen zusammen. Vielleicht können wir ihnen erklären, dass wir einfach bloß den Dreck von dem Kriechkeller loswerden und dabei Wasser sparen wollten.«
    Ich baute mich vor ihm auf. »Du hast mich manipuliert.«
    Er öffnete den Mund, aber zur Abwechslung kam

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