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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Traurigkeit. »Ich bin mir nicht sicher, dass es überhaupt wieder auf die Reihe zu bringen ist.«
    »Dann müsste ich dir jetzt also dankbar dafür sein, dass du gehst?«
    »Ich hab nie gesagt …«
    Er ging wieder zum finsteren Gesichtsausdruck über. »Du musst genauso dringend hier raus wie Simon, vielleicht noch dringender. Du siehst vielleicht nicht, dass du in Gefahr bist, aber ich tu’s. Und ich mache mir Sorgen.«
    »Sorgen? Um mich?«
    Er zuckte die Achseln. »Klar. Gedanken halt. Was auch immer.« Er konnte mir nicht einmal in die Augen sehen, als er es sagte. »Yeah, wir brauchen dich, aber ich will einer anderen Paranormalen wirklich helfen.« Ein Seitenblick in meine Richtung. »Wir müssen zusammenhalten.«
    »Wag es nicht.«
    »Was?«
    Sein Blick glitt ab und begann im Bad umherzuschweifen.
    »Du hast recht«, sagte ich. »Ich brauche Unterstützung. Mein Leben fällt gerade auseinander, und eines Tages denke ich vielleicht an das hier zurück und weiß, dass es der größte, dümmste Fehler war, den ich jemals gemacht habe. Aber im Moment ist es die einzige Lösung, die ich sehe. Du brauchst mich, damit ich die Jungfer in Nöten spiele? In Ordnung. Aber erzähl mir
niemals
, dass du das für mich machst. Das hier hat nichts mit mir zu tun. Untersteh dich, etwas anderes zu behaupten.«
    Ich drehte mich um und ging.

33
    I ch fragte mich, ob ich nach unserer Flucht Zeit zum Schlafen finden würde. Denn in Lyle House hatte ich wenig Schlaf abbekommen.
    In dieser Nacht war ich so erschöpft, dass ich nicht einmal dazu kam, in Gedanken gegen Derek zu wüten oder mir über den Schritt, den ich zu tun beschlossen hatte, Sorgen zu machen. Ich fiel ins Bett und geradewegs in Träume voll gellender Polizeiautos und kläffender Spürhunde hinein. Träume von einem Jungen, der in einem Krankenhausbett gefangen war, und einem Jungen, der in einem Wohnheim gefangen war, und Geistern, die in verwesenden Leichen gefangen waren. Von Zombies, die um Gnade flehten, und einem Mädchen, das sagte: »Ich hab’s nicht so gemeint«, und einem Jungen, der sagte: »Ich hab’s auch nicht so gemeint. Nicht weiter wichtig.«
    Die Träume wirbelten und flossen ineinander über, bis sich irgendwann einer aus dem Strudel befreite. Ein Bild, das unter den stärkeren, lauteren Bildern begraben gewesen war, bis es sich von ihnen löste und fragte: »Und was ist mit mir?«
    Ich fuhr hoch und saß hellwach im Bett, orientierungslos in der Dunkelheit, während die wirren Erinnerungen um mich herum wirbelten, die Fragen, die sie aufwarfen, die Antworten, die sie versprachen.
    Dann sprang ich mit einem Satz aus dem Bett.
     
    Ich klopfte an die Schlafzimmertür.
    »Derek?«
    Ein Schnarchen antwortete.
    Ich klopfte wieder und hob die Stimme, soweit ich es wagte.
    »Derek?«
    Meine Zehen krümmten sich, um den eiskalten Dielenboden nicht berühren zu müssen, und ich rieb mir die von Gänsehaut übersäten Arme. Ich hätte einen Pullover anziehen sollen. Und Socken.
    Ich hätte nicht mal hier sein sollen. Ich hatte dem Typ meine Meinung gesagt, einen perfekten Abgang hingelegt, und jetzt kam ich zurück und bettelte vor der Tür darum, dass er mit mir redete.
    Auch eine Art, eine gute Szene zu ruinieren.
    Als ich die Hand hob, um wieder zu klopfen, klickte der Türknauf. Die Tür ging knarrend auf, ich hob den Blick auf Augenhöhe, während mir die Entschuldigung schon auf der Zunge lag, und stellte fest, dass ich stattdessen eine Brust anstarrte. Eine nackte Brust. Und nicht die eines Jungen. Breit und muskulös. Ein paar rote Aknepunkte lieferten den einzigen Anhaltspunkt dafür, dass sie
nicht
zu einem erwachsenen Mann gehörte.
    Im Haus trug Derek immer riesige Sweatshirts und ausgebeulte Jeans. Wenn ich mir jemals ausgemalt hätte, wie er darunter aussah – was ich nicht getan hatte –, dann hätte ich ihn mir untersetzt an der Grenze zum Übergewicht vorgestellt. Irgendwo musste das ganze Essen, das er in sich hineinschaufelte, ja schließlich bleiben. Und ganz offensichtlich tat es das auch – aber eben nicht in Form von Fett.
    Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden, und senkte den Blick, nur um festzustellen, dass er nichts außer Boxershorts trug.
    »Chloe?«
    Mein Blick schoss dankbar wieder zu seinem Gesicht hinauf.
    Er spähte zu mir herunter. »Chloe? Was …?«
    »Du schuldest mir was.«
    »Hä?« Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen, stieß ein fauchendes Gähnen aus und ließ die Schultern kreisen.

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