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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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Tiergestalt, und so musste er heftig würgen, als der Gestank über ihn hereinbrach. Mit eisernerDisziplin riss er sich zusammen. Er schluckte den widerlichen Geschmack in seinem Mund herunter, zwang sich dazu, ruhig zu atmen. Er sah sich um.
    Der Anblick verschlug ihm die Sprache. Er befand sich in einer großen Halle, deren ursprünglicher Zweck nicht mehr erkennbar war. Stattdessen waren umlaufende Zwischengeschosse eingezogen, jedes davon mit einem Laufgang aus Gitterplatten versehen, die man über ein im zentralen Lichtschacht gelegenes, ebenfalls aus Gitterplatten bestehendes Treppenhaus erreichen konnte. Die Beleuchtung war dämmrig, mit nur wenigen Lampen auf den einzelnen Etagen und ein paar stärkeren Scheinwerfern ganz oben in der Decke, die den Schacht herabschienen.
    Es sah aus wie in einem Gefängnis. Es
war
ein Gefängnis, um genau zu sein. Mickey hatte gefunden, wonach er gesucht hatte.
    Hinter den Laufgängen befanden sich mit Gittern abgetrennte Käfige, jeder davon mit zwei breiten fünfstöckigen Betten bestückt. Der Gestank kam von der Regenrinne, die durch die Käfige führte.
    Jeder einzelne Käfig hier auf seiner Ebene war vollgestopft mit Leuten, vier oder fünf in jedem Bett, vierzig Stück pro Käfig auf nicht mehr als zehn Quadratmetern. Auch die Käfige in den Geschossen darüber schienen gefüllt zu sein, und selbst ganz oben, wo sein Blickwinkel viel zu schlecht zum Einsehen war, konnte er noch an jedem zweiten oder dritten Käfig Hände erkennen, die um die Gitterstäbe gelegt waren. Er zählte die Anzahl der Käfige auf einer Ebene, dann die Anzahl der Ebenen und versuchte so, die Anzahl der Gefangenen abzuschätzen. Er keuchte auf. Wenn nur drei Viertel der Käfige besetzt waren, befanden sich hier mehr als zwanzigtausend Mann. Zwanzigtausend Mann auf viertausend Quadratmetern, mit nicht mehr als einer Regenrinne zum Scheißen und Pissen und dieser elenden Beleuchtung. Das Gefängnis wirkte auf ihn wie ein KZ aus dem Dritten Reich, grausam und unmenschlich, und Mickey wurde unangenehm bewusst, dass sein eigenes Gefängnis in Bergen nicht besser gewesen war.
Aber
wenn man es selbst tut, sieht man es anders …
Er erinnerte sich noch daran, wie er die Käfige dort mit Rattenkäfigen in wissenschaftlichen Versuchsanstalten verglichen und dabei so etwas wie Gerechtigkeit empfunden hatte …
    Aber es war nicht gerecht, wurde ihm mit einem Schlag klar. Menschen waren keine Ratten. Und auch wenn er damals im Streit mit Colt etwas anderes gesagt hatte, gab es doch genügend Menschen, die noch Mitleid und Anteilnahme empfanden, auch Tieren gegenüber. Und so wenig die Tiere in den Labors den Tod verdient hatten, so wenig hatten ihn die Menschen hier verdient.
    » Hände hoch und keine Bewegung
!«, stieß plötzlich eine Stimme hinter ihm aus.
    Anstelle sich die Mühe zu machen, die unverständlichen Laute zu entschlüsseln, warf sich Mickey mit einem Satz zu Boden. Er hörte ein lautes Knacken, etwas schlug gegen seine Seite. Er versuchte sich abzurollen, doch ihm fehlte plötzlich die Kraft dazu. Ein heftiger, stechender Schmerz brannte in seiner Flanke. Als er mit seiner Hand danach tastete, fühlte er warmes Blut aus seinem Bauch sprudeln. Erst jetzt verstand er, dass er angeschossen worden war.
    »Ich habe doch gesagt, du sollst dich nicht bewegen
«
, meinte jemand in schnippischem Tonfall. Die Sprache klang sehr deutsch.
    Die Schmerzen ließen ihn stöhnen, während sein Blut auf den Boden lief und sich Kälte in ihm ausbreitete, zuerst in den Füßen, dann auch in den Fingern und Händen. Er hörte Schritte näher kommen, im Hintergrund schrien Menschen. Er fragte sich, ob er, wenn er jetzt starb, jemals wieder zum Leben erwachen würde oder ob ihn sein Angreifer vorher endgültig töten würde. Müde schloss er die Augen.
    »He!«
, machte die Stimme. Jemand stieß mit einem Stiefel in seine Seite.
» Nicht wegsterben hier

    Mickey verstand ihn nicht. Aber das war ihm auch egal. Selbst die Schmerzen in seinem Bauch begannen zu verblassen.
Wenn das Sterben ist …,
dachte Mickey. Weiter kam er nicht mehr.
     
    Mickey zwinkerte mehrmals, als er fühlte, dass es ihm wieder besser ging. Er lag noch immer auf dem Bauch, genau so wie er gefallen war. Von Sekunde zu Sekunde kehrte mehr von seiner Kraft zurück. Das Projektil, das von seinen Heilkräften aus seinem Körper gedrängt wurde, fiel mit einem metallischen
Pling
zu Boden.
    »Sieh an, sieh an. Da erwacht jemand wieder zum

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