Schattentänzer
des Abgrunds ertränken. Sofort versicherte Glo-Glo unterwürfig, er werde schweigen wie ein Eichhörnchen, das ein paar Nüsse mümmle. Dieses Versprechen schien Olag zu genügen, denn er setzte sich den triefenden Kobold wieder auf die Schultern. Glo-Glo hielt tatsächlich Wort und krächzte fortan nur noch, wenn Olag zum nächsten Sprung ansetzte.
»Glo-Glo«, wandte ich mich an den Kobold, »warum mussten wir eigentlich durch dieses Moor?«
Inzwischen stiefelten wir über einen breiten Pfad, der sich zwischen verwitterten Felsbrocken und Schlehen dahinschlängelte.
»Durch die Lache des Abgrunds?«, fragte Glo-Glo zurück. »Das geht schneller, auch wenn es gefährlicher ist. Wenn wir das Moor umrundet hätten, hätten wir vier Tage verloren, so haben wir es an einem halben Tag geschafft.«
»Wann schlagen wir bloß endlich unser Lager auf?!«, seufzte Mys hinter mir und fing sich sofort einen Stoß von Fagred ein.
»Seid ihr etwa müde, Meerkatzen?«, fragte der Ork. »Lasst es mich nur wissen, da kann ich Abhilfe schaffen. Endgültig.«
Natürlich antwortete ihm niemand. Es bestand wenig Vergnügen darin, sich einen weiteren Schlag dieses Viehs einzufangen.
»Aber in einer halben Stunde wird es doch schon dunkel«, brummte Mys nach einer Weile.
»Wir sind fast da«, versicherte ihm der Kobold. »Ihr werdet es gleich selbst sehen.«
Und in der Tat wichen keine zehn Minuten später die Sträucher erst rotem Ahorn, dann gewaltigen, knorrigen Eichen und Felsbrocken. Diese verwandelten sich schon bald in alte Ruinen. Kurz darauf liefen wir bereits durch eine Stadt, die weit stärker zerstört war als Chu.
Die alten Fundamente waren kaum noch zu erkennen, Berge aus Steinblöcken türmten sich um Bäume herum. Auf unserem Weg durch die Ruinen entdeckte ich nicht ein einziges unversehrtes Gebäude. Nur einmal bemerkte ich eine umgestürzte Säule, die weitgehend unter Erde verschüttet lag. Die Eichen bildeten mit einem Mal eine fast undurchlässige Mauer, und ich musste mich förmlich zwischen den Stämmen hindurchzwängen. Dann sah ich, dass sich die Bäume zu einem Ring schlossen.
War auch das eine Laune der Natur, oder hatte jemand die Bäume eigens so angepflanzt? Jedenfalls erinnerte mich der Platz an den Ring aus Goldbirken am Osttor.
In der Mitte der großen Lichtung, die bereits von jungen Eichen erobert wurde, lag eine runde Steinfläche, auf der ein hoher, blendend weißer, nadelförmiger Obelisk stand. Er schien alles Licht in sich aufzunehmen.
»Mehr ist von dieser Stadt nicht übrig geblieben«, bemerkte Glo-Glo gleichgültig. Er teilte die Begeisterung von Mys und mir für die Schönheit dieses Ortes offenbar nicht. »Alles andere hat die Zeit dahingerafft.«
»Ist das die Stadt Bu?«, fragte ich den alten Kobold, da mir einfiel, was Kli-Kli mir erzählt hatte.
»Nein, das ist die Namenlose Stadt«, antwortete Glo-Glo. »Woher weißt du etwas von der Stadt Bu?«
»Ein Kobold, den ich kenne, hat sie erwähnt.«
»Der, von dem du schon mal gesprochen hast? Wie hieß er doch gleich? Kli-Kli, oder?«
»Ja.«
»Wo ist er jetzt?«
»Beim Osttor von Hrad Spine.«
Glo-Glo verzog das Gesicht, sagte jedoch kein Wort.
Wir Gefangenen wurden an den Rand des Eichenwaldes geführt, wo Shokren abermals seinen magischen Kreis um uns zog. Eine Meerkatze ließen die Orks nun mal nicht zu ihrem Obelisken vor. Schade. Ich hätte diesen seltsamen Stein gern berührt, denn mein Körper spürte selbst aus diesem Abstand die Wärme, die von ihm ausging.
»Wer hat dieses Wunder geschaffen, Glo-Glo?«, fragte ich den Kobold, der sich bereits auf seinem Nachtlager ausstreckte.
»Diejenigen, die vor den Orks und Ogern da waren«, antwortete er, nachdem er sehr lange geschwiegen hatte. »Lass uns jetzt schlafen, ich glaube, wir bekommen heute ohnehin nichts mehr zu essen.«
Aber da irrte Glo-Glo, denn eine Stunde später brachte man uns Essen und sogar Wein, die Götter Sialas seien gepriesen! Echten Orkwein, den Menschen nur selten zu kosten bekommen, da ihn die Orks den Meerkatzen nicht gern kredenzten. (Das Einzige, was Orks den Menschen wirklich aus freien Stücken zu kosten geben, ist der Yatagan.)
Olag war sogar so freundlich, eine Fackel an einem langen Stab neben unserem Gefängnis aufzustellen, das weder Mauern noch Gitter aufwies.
»Wie edel! Heute gönnen uns die Ersten sogar Licht zu unserem Festmahl«, brummte Glo-Glo.
»Von wegen!«, schnaubte Mys, während er den Wein in der Flasche beroch.
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