Schattentänzer
vergangenen Tage vergessen, als handelte es sich bei ihnen nur um einen schrecklichen Traum. Meine Hand legte sich von selbst auf die Klinke. Die Tür gab mühelos nach.
Die kühle Luft einer Herbstnacht und der Rauch des Lagerfeuers schlugen mir entgegen. Ich sog das Aroma in mich ein, als sei es ein wertvolles Geschenk der Götter. Ein Schritt, ein einziger Schritt bloß – und der Albtraum fände sein Ende. Als ich die Tür etwas weiter aufzog, quietschten die Angeln. Dieses Geräusch reichte aus, dass Aal zusammenfuhr und langsam auf mich zukam. Wer weiß, ob er etwas sah oder nur dem Geräusch folgte? Aber auf keinen Fall wollte ich ihn rufen und seine Aufmerksamkeit auf mich lenken.
Sieh mal nach rechts, Garrett , flüsterte mir Walder zu.
Seine Stimme zerriss den Bann, ich blickte in die genannte Richtung. In der Tür rechts neben mir prangte in einer Ecke ein Dreieck.
Ein rotes.
Alle Götter samt dem Herrn und dem kapriziösen Schicksal verfluchend, schlug ich die Tür zu, die mich in die Freiheit geführt hätte. Ich presste die Hände fest gegeneinander und trat einen Schritt zurück. Ein heftiges Zittern befiel mich. Kein Wunder! Beinah hätte ich alles verhunzt! Verdammt! Was war das nur gewesen?!
»Ich danke dir, Walder.«
Ich habe mir gedacht, dass du die acht Terrassen nicht noch einmal hinter dich bringen möchtest. Er lachte gluckernd.
»Das hast du dir ganz richtig gedacht.« Ich hatte die Beherrschung über mich noch immer nicht zurückgewonnen. »Ein weiteres Mal – danke.«
Spar dir deinen Dank, schließlich verfolge ich meine eigenen Ziele in dieser Sache.
»Und welche sind das?«
Dass ich nicht sterbe, liegt am Horn des Regenbogens, weil doch damals … Du weißt, was ich meine.
Das wusste ich in der Tat. Es war der erste einer Reihe von prophetischen Träumen gewesen.
Ich habe die Hoffnung, dass … Er stockte, als fürchtete er, den einzigen Halm der Hoffnung zu zerknicken. … dass ich diese Welt verlassen kann und Ruhe finde, wenn wir das Horn des Regenbogens wieder in Händen halten. Du siehst, Garrett, auch ein körperloser Geist ist auf seinen Vorteil erpicht.
»Hoffen wir, dass du recht hast, Walder, und das Artefakt dir hilft.«
Ja , seufzte er.
»Hast du gehört, was mir der Sendbote gesagt hat?«
Ja .
»Ist das die Wahrheit?«
Ein kurzes Schweigen. Ja. Das Horn des Regenbogens könnte das Gleichgewicht zerstören.
»Und der Herr? Oder all das andere, was der Sendbote über die Erstgeborenen und mich erzählt hat, ist das auch wahr?«
Das weiß ich nicht.
»Aber wenn das Horn das Gleichgewicht zerstören könnte, dann sollte ich es vielleicht wirklich nicht …«
Das Gleichgewicht kann jederzeit zerstört werden, unabhängig davon, ob du das Horn an dich bringst oder nicht.
»Und was soll ich nun tun?«
Erfülle deinen Kontrakt und empfiehl dich Sagoth , riet mir Walder und verstummte.
Erfülle deinen Kontrakt und zerbrich dir nicht den Kopf! Pah! Ich ging zur Tür mit dem roten Dreieck, atmete tief durch, öffnete sie und trat in die achte Terrasse der Beinernen Paläste hinaus.
Kapitel 11
Das Horn des Regenbogens
Ich fand mich in einem kleinen Raum wieder, in dem es nach abgestandener Luft, Staub und Wachs roch. Wenigstens an Kerzen würde es mir nicht mangeln, denn das ganze Zimmer war mit Kerzenständern vollgestopft. Zudem fanden sich in ihm noch ein gewaltiger Metalltisch, auf dem sich Bücher und Schriftrollen türmten, zwei bronzebeschlagene Truhen und ein Schrank voller Gläser und Kolben. An den Wänden hingen Teppiche aus dunkel-kirschrotem Samt, auf dem Boden lag eine verblasste Brücke aus dem Sultanat. An einer Wand prangte ein Bild in einem schweren, verschnörkelten Goldrahmen. Niemand würde heute noch zu sagen wissen, was der unbekannte Maler auf die Leinwand gebracht hatte, so verblichen waren die Farben. In der Wand mir gegenüber führte eine Tür aus dem Raum hinaus.
Als ich mich noch einmal umdrehte, war die Tür, durch die ich hereingekommen war, verschwunden. Sie hatte sich schlicht und ergreifend in Luft aufgelöst. Jede Möglichkeit, auf die Zwischenterrasse zurückzukehren, war mir genommen.
Ich trat an den Tisch heran und öffnete aus purer Neugier den Deckel einer der beiden Truhen. Nein, Schätze barg sie keine. Sie war bis zum Rand mit herrlichem Weizen gefüllt. Seltsam. Warum hatte jemand Getreide zur achten Terrasse heruntergebracht, für das hier doch wohl kaum jemand Verwendung finden dürfte? Die zweite Truhe
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