Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
überrascht sind.«
    »Was denn? Was ist es denn?«, frage ich.
    »Sehen Sie sich das an, sehen Sie genau hin«, sagt der Polizist und reicht mir einen Fetzen Papier, glattes Papier. »Was ist das?«, frage ich.
    »Entschuldigung, ich habe ganz vergessen … Das ist ein Foto.«
    »Ein Foto?«
    »Ein Foto, das wir in der Brieftasche des Toten gefunden haben. Es ist ein wenig nass geworden, aber man kann doch erkennen …«
    »Ja?«
    »Man kann doch erkennen, dass der Mann auf dem Foto derselbe ist, der mir jetzt gegenübersitzt.«
    »Entschuldigung?«
    »Der Mann auf dem Foto: Das sind Sie.«
    »Ich?«
    »Ja. Es ist wohl … eine Art Passfoto.«
    »Ein Passbild?«
    »Ja, schwarz-weiß.«
    »Aber …«
    »Es ist so, glauben Sie mir.«
    »Aber das ist unmöglich. Mara …«
    »Das bist du auf dem Foto«, sagt Mara. Ihre Stimme kommt aus weiter Ferne.
    »Mara, ich kannte doch den Mann gar nicht. Wie kann …«
    »Wie können Sie da so sicher sein?«
    »Wie bitte?«
    »Wie können Sie so sicher sein, den Mann nicht gekannt zu haben?«
    »Ganz einfach, ich kenne hier niemanden. Mara und ich sind für uns, wir wollen überhaupt niemanden kennen. Verstehen Sie? Wir wollen allein sein, in Ruhe gelassen werden …«
    »Wie sind Sie heute hierhergekommen?«
    »Bitte?«
    »Sie sind doch mit der Fähre von der Insel ans Festland gefahren?«
    »Ja, ja …«
    »Dann könnte doch jederzeit ein Mann, der Sie kennt, der Sie vielleicht besuchen möchte, vom Festland auf die Insel kommen.«
    »Ja, aber …«
    »Na bitte.«
    »Grundsätzlich ja, aber nicht wirklich. Nein, denn ein Mann, der mich auf der Insel besuchen möchte, müsste ja wissen, dass ich dort bin, aber genau das weiß niemand.«
    »Niemand?«
    »Nein.«
    »Ihre Familie? Freunde?«
    »Niemand.«
    »Sie haben nie jemandem gesagt, wo Sie sind?«
    »Nie.«
    »Das …« Er legt eine Pause ein, und als er neu ansetzt, scheint er etwas im Mund zu haben, er schluckt es hinunter und sagt: »Das erschwert die Sache.«
    »Allerdings. Dieser Mann kann mich nicht gekannt haben.«
    »Das erschwert die Sache, denn wir haben ja das Foto.«
    »Ja, ja, ich will Ihnen das gerne glauben …«
    »Ihnen wird kaum etwas anderes übrig bleiben, mein Lieber.«
    »Ja, wie gesagt … Ich kenne hier niemanden … Es kann natürlich sein, dass man mich ausfindig gemacht hat, aber …«
    »Sie werden den Mann identifizieren müssen.«
    »Bitte?«
    »Nicht Sie natürlich. Nein, wir werden Ihre Familie befragen müssen, Verwandte, Freunde, sehr wahrscheinlich ist der Mann da bekannt, denn auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, Sie müssen sich doch gut gekannt haben, wieso sollte der Tote sonst Ihr Foto in seiner Brieftasche herumtragen.«
    »Das wird nicht gehen.«
    »Hm?«
    »Meine Familie … Es wird nicht gehen, denn meine Familie weiß nicht, wo ich bin, verstehen Sie, meine Familie gibt es letztlich nicht.«
    »Aha.«
    »Geht das in Ihren Schädel?«
    »Sicher. Ich lebe auch ohne Familie.«
    »Na, dann verstehen wir uns ja.«
    »Dennoch werden Sie uns helfen müssen, mein Lieber.«
    »Gerne, nur meine Familie hat mit der Sache nichts zu tun. Und im Übrigen stand ich …«
    »Ja?«
    »… stand ich auf dem Balkon, als es passierte, als der Mann ins Wasser stürzte.«
    »Das mag wohl sein.«
    »Natürlich ist das so. Mara kann Ihnen das bestätigen. Sag ihm das, Mara.«
    »Lass uns gehen«, sagt Mara.
    »Wie bitte?«, frage ich und denke im selben Moment, dass der Polizist diese Frage stellen müsste, aber der Polizist findet nichts dabei und wünscht uns noch einen schönen Tag.
    »Wie bitte? Wir können jetzt einfach so gehen?«
    »Natürlich. Einen schönen Tag noch«, sagt der Polizist, und ich stelle mir vor, dass er mir zuzwinkert, weil er einfach nicht begreifen möchte, dass ich nicht sehen kann, und dann sagt er noch: »Danke, vielen Dank, das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.«
    »Das habe ich doch gerne gemacht«, sagt Mara, und dann zieht und zerrt sie mich zurück ans Tageslicht.
    Mit Mara über das Wasser fahren in warmem Wind, und der altersschwache Motor rattert …
    »Mara … was war das eben … Als wir gegangen sind, wofür hat sich der Polizist bedankt?«
    »Für den Zitronenkuchen. Ich hatte ihm einen Zitronenkuchen gebacken, weil der ihm doch so gut geschmeckt hat.«
    »Du hast …«
    Und der altersschwache Motor rattert, und Mara drückt einen festen Kuss auf meine Lippen.
    »Aber du wusstest doch gar nicht, dass er anrufen würde, ich meine, wir wussten doch gar

Weitere Kostenlose Bücher