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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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ich.
    »Super, Papa«, sagt Sandra.
    Der Bus ist längst weg, heute bringe ich Sandra zur Schule. Sie sitzt neben mir und bringt vor Begeisterung kein Wort heraus. Bevor sie aussteigt, umarmt sie mich und drückt mich fest. Ich winke, bis ihre Konzentration ganz ihren Mitschülerinnen gehört, die sie anstarren, als sie atemlos zu erzählen beginnt. Sie macht eine weit ausladende Geste, vermutlich, um die Größe eines Pferdes zu vergegenwärtigen.
    Ich fahre zurück nach Hause, ein heller gelber Morgen über dem weißen Bungalow, dem bunten Garten. Vera steht in der Küche, singt, schneidet Tomaten und lächelt mich an.
    »Nachher gibt’s Spaghetti bolognese«, sagt sie.
    »Mhm, lecker.«
    »Du bist allerdings nur die Nummer achtzehn. Erst mal werden Sandras siebzehn Gäste verköstigt.«
    »Hm.«
    »Nimm doch noch ein Stück, bevor du gehst«, sagt Vera und schiebt mir die Torte entgegen. Ich setze mich mit einem großen Stück ins Esszimmer und überfliege die erste Seite der Tageszeitung. Rekordtemperaturen, ein Rekordsommer, ein Bild mit zwei Sportlern, zwei Goldmedaillen und zwei Konflikte, die den einen oder anderen Toten fordern. Das mit Abstand Beste an der Torte ist der Schokoladenüberzug. Ich drücke Vera einen Schokoladenkuss auf die Lippen und verabschiede mich.
    »Du weißt Bescheid, ab 16 Uhr wird dein Typ hier verlangt, heute bitte nicht zu spät kommen«, ruft Vera, im Türrahmen stehend, ich nicke und rufe: »Bis nachher.«
    Die Fahrt dauert im Berufsverkehr zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten Radiogesäusel. Zwanzig Minuten, in denen ich an Sandra denke auf dem Pferd und an Vera im Türrahmen und an einen Bildschirmschoner zum Thema Wellenreiten und ein wenig daran, wo dieser Tag noch hinführen, wo er enden wird, aber nur ein wenig, denn noch ist die Welt in Ordnung.
    Rechts der Möbelmarkt, links Fast Food, rechts die Tankstelle, links der Baumarkt. Ich parke und betrete das Bürohaus, das ebenso weiß, ebenso gepflegt ist wie mein Bungalow, meine Firma. Unsere Firma. Auf dem Flur kommt mir mein Freund und Kompagnon entgegen, dessen Namen ich vergessen habe, es ist eine Frage der Zeit, wann er mir wieder einfällt, es ist ein heller gelber Morgen, an dem das Dunkel beginnt, sich zu lichten.
    »Servus«, sagt mein Freund wie jeden Morgen.
    »Morgen«, sage ich wie jeden Morgen.
    »Schon gute Ideen für das Ding mit den Wellenreitern?«
    »Ein paar«, sage ich.
    »Gut, ich habe um halb fünf das Meeting mit denen, keine Angst, du musst ja nicht dabei sein, heute geht Sandra vor. Übrigens …«
    Er macht kehrt, verschwindet in seinem Büro und kommt mit einem schmalen und langen, rot und blau verschnürten Paket wieder heraus. »Für Sandra«, sagt er.
    »Danke. Was ist es denn?«
    »Eine Reitgerte. Für das Pferd. Die ist doch bestimmt in Ohnmacht gefallen, was?«
    »Fast.«
    »Hat sich riesig gefreut, was? Ihr seid aber auch Spinner. Ein Pferd für eine Achtjährige, wo gibt’s denn so was?«
    »Neun.«
    »Was?«
    »Neun. Sandra ist heute neun geworden.«
    »Ach so. Na ja, trotzdem, Wahnsinn. Klarissa hat schon gesagt, dass wir das auf keinen Fall Olli sagen dürfen, sonst verlangt der von uns auch solche Geschenke.«
    »Hm.«
    »Es ist doch schon ein bisschen verrückt, oder?«
    »Ich weiß nicht. Das Pferd war nicht so teuer …«
    »Na ja. Ich find’s ja auch klasse. Passt schon.«
    »Aber Olli wird es erfahren. Er kommt doch heute zu Sandras Party.«
    »Ja, ja. Macht ja nichts. Jetzt mach du dich mal an die Wellenreiter. Du weißt ja, die wollen was mit viel Action und so.«
    »Mach ich.«
    »Und sieh zu, dass es gut wird, so ein Pferd will ja auch verköstigt werden, diese Viecher sollen ziemlich gefräßig sein.«
    Er lächelt, ich erwidere, obwohl mein Kompagnon wegen des Pferdes eigentlich nicht ganz unrecht hat, und dann gehe ich in mein von Sonnenlicht durchflutetes Büro. Die Fenster sind groß, ich befinde mich in einem Würfel aus Glas. Am Boden liegt ein silberner Teppich, im Zentrum des Raumes steht mein Schreibtisch, davor ein Stuhl. Auf dem Schreibtisch steht mein Computer. Ich drücke die Eingabetaste und beginne nach einer Weile, in hohem Tempo nahezu lautlos, bedächtig, feinfühlig zu tippen. Ich komme gut voran. Mir ist schwindlig. Etwas kreist in meinem Kopf, und etwas kreist in meinem Körper, ich denke an Sandra und an ein Pferd und an Vera und einen Schokoladenkuchen, ich spüre, dass dieser Tag nicht zu Ende ist, und vor meinen Augen beginnt ein dunkelhäutiger Mann

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