Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
dich, Marlene?
Marlene murmelt etwas vor sich hin. Ich stoße fester zu.
Ja, Süßer, mach’s ihr, sagt Viviana.
Olli trägt einen dunkelblauen Schlafanzug, der aussieht wie neu. Er liegt in einem etwas klapprigen Bett und hört Sandra beim Atmen zu. Er kann nicht schlafen. Ich glaube, er ist glücklich.
Süßer, ich will doch auch noch mal, sagt Viviana.
»Ich bin wieder da«, sagt Mara.
Ich zucke zusammen. »Mara …«
Ich spüre ihre Hand auf meinem Mund. »Sag jetzt nichts.«
»Aber wo bist du …«
»Schschsch, du weißt doch, jedes Wort nimmt etwas von dem, was gegeben worden ist.«
»Mara, du musst mir sagen …«
»Später«, sagt sie, und dann schenkt sie mir das Gefühl, das ich brauche, das Gefühl, einzuschlafen in dem Gefühl, nicht mehr aufzuwachen.
Ich höre Vera beim Atmen zu. Es ist mir nicht gelungen, einzuschlafen, bevor sie sich neben mich legte. Sie hat leise geweint, sie hat sich bemüht, es zu unterdrücken. Sie hat eine Weile schwer und unregelmäßig geatmet, dann ist sie eingeschlafen. Erschöpft von Wut, Sorge und Erleichterung. Ich höre ihr beim Atmen zu und denke ein wenig nach.
Richtig ist, dass ich Sandras Unfall verhindert hätte, wäre ich rechtzeitig auf dem Reiterhof gewesen. Eine Gehirnerschütterung. Keine leichte, keine schwere. Der Arzt hat schon Schlimmeres gesehen. Bald wird Sandra wieder reiten gehen. Veras Wut wird vergehen. Der Affe aus Stoff wird sich finden und wieder verlegen lassen. Die Mikelsens werden aus dem Urlaub zurückkehren.
Eine Reise in einem blauen Bus.
Ich suche ihre Augen im Dunkel.
»Wollen wir wetten?«, fragt sie.
»Wenn du willst«, sage ich.
Wir wetten um das letzte Viertel Wein und gehen zurück zum Lagerfeuer. Einige meiner Freunde liegen schon in den Schlafsäcken. Es ist warm und windstill, und irgendwann schlafen alle außer uns beiden. Wir sitzen nebeneinander im Sand, so nah, dass wir uns berühren.
Das Feuer knistert vor sich hin.
Wir reden leise, um die anderen nicht zu wecken.
»Eine Insel«, sagt das Mädchen.
»Hm?«
»Ein Holzhaus.«
»Was?«
»Ich würde am liebsten auf einer Insel leben. In einem Holzhaus.«
Ich führe die Weinflasche an meinen Mund, aber sie nimmt auf halbem Weg meine Hand. »Vergessen, dass wir gewettet haben?«
»Entschuldige.«
»Mein Holzhaus ist rot«, sagt sie.
Während ich darüber nachdenke, ob sie immer noch meine Hand hält, versickert die Erinnerung.
Mit Mara über das Wasser fahren, ihre Hand, weich und kalt, auf meiner Haut, und der Himmel, sagt Mara, sei blau.
Schimmel, Staub und Honig.
»Wir schließen die Augen«, sagt der Polizist.
Stechend süß.
»Vor uns eine schwarze Fläche.«
Klebrig.
»Ein tiefes Schwarz, das alles schluckt, was gewesen ist.«
Ein Löffel klirrt.
»Weshalb wir alles hineinwerfen, was uns Ruhe raubt.«
Eine Fliege summt.
»Neu anfangen«, sagt der Polizist.
Ein scharfer Luftzug.
»Anfangen bei null.«
Stille.
»Enden in Nichts.«
Ein leises Knacken,
»Sie entspannen sich und …«
die Fliege
»… folgen Ihrem Atem.«
hängt vermutlich
»Sie folgen Ihrem Atem in jede Verästelung Ihres Körpers.«
an der Hand des Polizisten.
»Sie werden sehr, sehr …«
aus dem Dickicht.
»… sehr ruhig.«
auf die Lichtung.
»So ruhig, dass Sie beginnen, am Tage zu träumen.«
Eine Weile …
»Und es ist ein schöner Traum.«
im Kreis laufen.
»Ein Traum, in dem Sie in alten Fotoalben blättern.«
Immer und immer wieder.
»Sie lächeln dabei, Sie fühlen sich wohl.«
Vollkommene Kreise.
»Sie haben das lange nicht getan.«
Ebenmäßig.
»Vielleicht sitzt neben Ihnen einer Ihrer Lieben.«
Angenommen, das,
»Und Sie erinnern sich gemeinsam …«
was passiert ist,
»… an lange Vergessenes.«
sei ohne Bedeutung.
»… an schöne Erlebnisse.«
Was hat dann
»… Sie lächeln, weil Sie auf ein Foto stoßen …«
mein Vater im
»… auf dem ein Säugling zu sehen ist …«
Schlaf gemurmelt?
»… und unter dem Foto steht Ihr Name und …«
Vielleicht träumte er doch von
»… draußen liegt der Garten …«
einem Feuerwerk.
»… in Nebel …«
auf der Insel.
»… aber niemand könnte sagen, ob das auf dem
Foto …«
einem Feuerwerk,
»… wirklich Sie sind.«
zu dem er
»Natürlich nicht.«
ohnehin nicht gehen wollte.
Zustoßen. Viviana von hinten. Ich starre Marlene an, die wieder auf der Bettkante sitzt. Die Erregung kriecht voran. Es wird noch eine Weile dauern. Mein Blick trifft Marlene. Ihre Augen sind
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