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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Sagen Sie …«
    »Ich hatte gehofft, dass Sie wissen könnten …«
    »Sagen Sie, was soll das hier heißen: Das Leben steht still?«
    »Aber Sie müssen Mara doch gesehen haben. Mara hatte Ihnen doch die Tür geöffnet.«
    »Was soll das heißen? Das Leben steht still.«
    »Ich weiß nicht, das ist ja nur ein Anfang.«
    »So gesehen. Na, vielen Dank jedenfalls. Sie haben von dem nächsten Toten gehört?«
    »Ja, ich …«
    »Von dem Mann, der von den Klippen gestürzt ist? Während eines Feuerwerks?«
    »Ja, Mara und ich waren dort …«
    »Das glaube ich gern.«
    »Wir standen auf dem Balkon, als …«
    »Natürlich standen Sie auf dem Balkon.«
    »Aber etwas stimmte nicht …«
    »Auch Blicke können töten«, sagt der Polizist.
    »Ich meine, mit dem Feuerwerk stimmte etwas nicht, die ganze Sache war nicht wirklich …«
    »Nehmen wir an, Sie stehen auf dem Balkon …«
    »Wissen Sie denn schon Näheres?«
    »Manchmal reicht ein Blick, um einen Schritt auszulösen, und ein Schritt, um zu stürzen.«
    »Wissen Sie denn schon …«
    »Wenn Sie wüssten, mein Lieber, was ich durch Ihre Augen sehe …«
    »Was …«
    »Aber Sie haben einen Anfang gefunden. Das ist gut. Ich respektiere das. Viele kleine Tode machen ein Leben. Das ist verdammt gut.«
    »Ist es nicht so?«
    »Es ist so: Sie stehen auf einem Balkon und werfen einen tödlichen …«
    »Wie bitte?«
    »… Blick aus Ihren leeren Augen.«
    »Das ist lächerlich.«
    »Ein Schritt, ein Sturz.«
    »Das ist …«
    »Einer von diesen vielen kleinen Toden.«
    »Das ist …«
    »Warten Sie, lassen Sie mich das kurz zu Ende denken, wir müssen das konkretisieren.«
    »Das ist …«
    »Das ist einer von vielen kleinen Toden, die Sie am Leben halten.«
    Und der Löwe läuft federnd und guter Dinge tiefer in den Wald hinein. Sein Schritt ist leicht, sein Gesichtsausdruck immer gleich, er läuft im Schatten saftig grüner Bäume, ab und zu bricht die Sonne durch.
    Nach einer Weile begegnet der Löwe einem Eisbären, der schneeweiß im Sommerwald steht und sich nicht rührt. Seine Reise sei hier zu Ende, sagt der Eisbär, es sei denn, der Löwe erfülle seine siebte Aufgabe.
    »Und die wäre?«, fragt der Löwe.
    »Siehst du das nicht? Ich schwitze, das ist eine Hitzehölle hier!«
    »Aber es ist doch schön schattig.«
    »Löwe, rede nicht, sondern verschaff mir Abkühlung, bewirf mich mit Eiswürfeln, frier mich ein!«
    Also baut der Löwe aus großen Palmenblättern ein Schattendach und pustet dem Eisbären kräftig frische kalte Luft zu. Zum Schluss öffnet er einen Baumstamm, der in Wirklichkeit ein Kühlschrank ist, und nimmt aus dem Tiefkühlfach einige Flaschen eisgekühlten Tee heraus.
    Der Eisbär trinkt, ohne einmal abzusetzen, und sackt in sich zusammen. »Allzeit gute Reise, wir sehen uns am Ende des Waldes«, sagt er noch, bevor er den nächsten Liter Tee in seinen Rachen gießt, und der Löwe läuft federnd und guter Dinge tiefer in den Wald hinein.
    Ein Junge, der in eine Schlucht stürzt. Er ist mit seinem Vater unterwegs. Der Vater ist ein erfahrener Bergsteiger. Seinem Sohn hat er alles, was er wissen muss, beigebracht. Der Junge ist erst zwölf Jahre alt, aber er kann klettern wie ein Großer. Vielleicht ist das der Grund. Vielleicht vergisst der Vater für einige Minuten, dass sein Sohn ein Kind ist.
    Ich weiß nur, was später auf dem Pausenhof gesprochen wurde. Dass der Junge mit seinem Vater unterwegs war. Dass er abgerutscht ist und die Sicherung falsch montiert war. Dass der Vater einige Meter weiter in der Felswand stand und mit ansehen musste, wie der Junge in die Schlucht stürzte.
    Eine Mitschülerin hat ihn oft besucht und wusste Bescheid. Ein unscheinbares Mädchen. Sie ist mir nie aufgefallen bis zu dem Kostümfest, auf dem ich auch den Jungen zum ersten Mal nach dem Unfall wiedergesehen habe. Die Mitschülerin blieb die ganze Zeit bei dem Jungen. Sie saßen zu zweit am Rand des Festes. Sie trug eine blaue Jacke und der Junge einen Cowboyhut auf dem Kopf.
    Am Abend hat der Vater den Jungen abgeholt. Das war lange vergessen, aber jetzt habe ich es wieder klar vor Augen. Der Vater hat den Jungen aus dem Rollstuhl gehievt und ins Auto gesetzt. Er hat dabei gelacht, aber er sah ungeheuer traurig aus.
    Die unscheinbare Mitschülerin ist bald nach Hause gegangen. Das weiß ich noch, weil ich kurz zuvor überlegt habe, ob ich zu ihr gehen und etwas zu ihr sagen sollte. Ich weiß nicht mehr, was. Seit dem Unfall des Jungen haben wir nicht mehr

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