Schattentraeumer - Roman
sie?« Praxi spürte, wie Ärger in
Loukis’ Brust aufstieg. »Komm schon, die Frage ist berechtigt.«
»Also gut, ja, ab und zu denke ich an sie«, gab er zu, richtete sich auf und zündete sich eine Zigarette an. »Aber nicht so,
wie du glaubst.«
Praxi erhob sich vom Gras und versuchte in seinem Gesicht zu lesen, doch seine Augen waren auf den Rauchring gerichtet, der
über ihren Köpfen zerstob.
»Hat sie dir etwas bedeutet?«, hakte sie nach.
»Nein. Das kann ich nicht behaupten. Aber das heißt nicht, dass ich ihr nicht alles Gute wünsche.«
»Ich wünsche Yiannis nichts Gutes«, beichtete Praxi. »Ist das nicht furchtbar?«
»Nur, wenn du es nicht ernst meinst.«
Praxi lachte, und Loukis nahm die Jacke, auf der sie es sich bequem gemacht hatten, und legte sie ihr um die Schultern.
»O Gott, ich liebe diesen Ort«, seufzte sie.
»Ich auch.«
»Wie kannst du dann fortgehen?«
»Weil ich dich noch mehr liebe.« Loukis drehte den Kopf zu ihr, so dass sie die Wahrhaftigkeit seiner Worte in seinen Augen
erkennen konnte.
»Aber wirst du mich auch für immer lieben und mich niemals verlassen?«
»Praxi!« Loukis griff um ihre Taille und zog sie an sich heran. »Ich werde dich niemals verlassen.«
»Dann versprich es mir.«
»Ich verspreche es dir.«
»Schwöre auf die Bibel!«
Loukis hob verzweifelt die Arme, um die Situation deutlich zu machen, in der sie sich befanden.
»Gut«, räumte Praxi ein. »Dann schwöre bei meinem Leben!«
»Gut, ich schwöre bei deinem Leben und meinem Leben und dem Leben jeder Person, die du mir nennst.«
»Schwöre, dass du mich niemals verlassen wirst, auch wenn die ganze Welt in Flammen aufgeht.«
»Ich werde dich niemals verlassen, auch wenn die ganze Welt in Flammen aufgeht und du nur noch gerösteter Toast bist. So,
bist du nun zufrieden?«
»Ja, das bin ich. Danke. Ich liebe dich, Loukis.«
»Ich liebe dich auch, Praxi.«
Hand in Hand blickten sie in die grauen und weißen Wolken, die über ihnen hinwegzogen, von einer sanften Brise nach Süden
getrieben. Die Sonne schien warm, und um den Pistazienbaum herum versprühten Frühlingsblumen ihre Farben wie zu einer Willkommensparade.
In einiger Entfernung glitzerte unter ihnen das Meer – leuchtend blaue Wellen, geküsst von goldenen Strahlen. Hin und wieder
fielen kleine Regentropfen auf sie nieder, doch das konnte sie nicht von der Schönheit des Tages ablenken. Schweigend saßen
sie da und versuchten verzweifelt, jedes Geräusch, jeden Geruch und jeden Atemzug ihrer Insel in sich aufzunehmen, da sie
nicht wussten, wann sie ihre Heimat je wiedersehen würden.
Zehn Jahre lang hatten sie sich von St. Hilarion ferngehalten, doch nichts hatte sich verändert. Die türkischen Soldaten waren
zwar immer noch in der Nähe, versteckten aber keine Scharfschützen mehr und bedeuteten keine akute Gefahr. Mit dem enormen
Truppenabzug hatte sich die politische Situation auf Zypern entspannt, und er hatte für neuen Schwung auf derMittelmeerinsel gesorgt. So erschien die Aussicht darauf, die Insel zu verlassen, umso tragischer.
»Wir werden eines Tages zurückkommen«, flüsterte Loukis, als könnte er ihre Gedanken lesen. Aber Praxi war sich da nicht so
sicher. Sie wussten beide, dass es nicht leicht war, zurückzukehren, wenn man einmal fortgegangen war.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, aber ich werde meine Mamma vermissen«, sagte Praxi.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, aber ich werde sie auch vermissen.« Loukis lachte.
Während Yiannis in Griechenland war, hatten Praxi und Loukis die Gelegenheit genutzt, um ihre Flucht bis ins Detail zu planen.
Sie würden das Land in ein paar Wochen, nach den Osterfeiertagen, verlassen. Sie hatten das Fest ausgewählt, um noch ein letztes
Mal ihre Familien zusammenzuführen, ohne Verdacht zu erregen. Nur Dhespina wusste von ihrer bevorstehenden Flucht, die anderen
würden früh genug davon erfahren. Elpida würde sie begleiten und sich auf einer Urlaubsreise wähnen, bis sie ihr in sicherer
Distanz den wahren Grund der Unternehmung offenbarten. Praxi befürchtete, dass die Hölle losbrechen würde, doch Loukis mutmaßte,
dass ihre Tochter sich wahrscheinlich schneller als sie beide selbst in der Fremde einleben würde. Praxi blieb skeptisch.
Außerdem gefiel ihr nicht, dass sie sich mitten in der Nacht davonschleichen mussten wie Diebe, obwohl ihr einziges Verbrechen
darin bestand, dass sie sich
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