Schattentraeumer - Roman
liebten. Loukis kannte solche Bedenken nicht. Ob Zypern oder England war ihm einerlei. Es war
bloß ein anderer Boden, auf dem sie gehen würden. Um Praxis Schmerz ein wenig zu lindern, versprach er ihr, sie würden Elena
zu sich holen, sobald sie sich etwas eingelebt hatten.
»Wirst du deine Mamma nicht vermissen?«, fragte Praxi.
»Natürlich«, antwortete er und verschloss ihre Lippen mit einem Kuss, bevor sie weiterfragen konnte. Seit Loukis den Entschluss
gefasst hatte, zu fliehen, hatte ihn dieser schmerzhafte Gedanke verfolgt, und je näher Ostern rückte, desto schwierigerwurde es, ihn zu ignorieren. Er konnte sich ein Leben ohne die Gegenwart seiner Mutter kaum vorstellen, und jedes Mal, wenn
er es versuchte, fragte er sich, wer er selbst dann noch sein würde.
»Es hört sich nett an, nicht wahr? Angel Islington?«
Loukis stimmte zu, dass es sich wirklich sehr nett anhörte, obwohl ihm noch die Worte des Cousins seines Vaters im Ohr klangen.
Nach seiner Beschreibung wies der Londoner Stadtbezirk kaum himmlische Züge auf.
»Wenn du dort lebst, müssen sie es in Two Angels of Islington umbenennen, denn dann gibt es dort einen weiteren Engel«, sagte
er lächelnd.
Praxi strahlte vor Freude. Es war unfassbar, wie leicht dieser Mann sie immer noch bezaubern konnte, und das sagte sie ihm
auch.
Die drei älteren Söhne von Christakis hatten ihren jüngsten Bruder an den Zaun gebunden. Elpida überlegte, ob sie ihn befreien
sollte, aber er schien recht zufrieden, wo er war, also beobachtete sie ihn von der Schaukel am Apfelbaum aus. Hinter dem
Tor rannte Niki die Straße rauf und runter, angetrieben von den Medaillen, die sie gewonnen hatte, und dem Ruhm, den ihr all
die anderen voraussagten.
Im Haus der Economidous herrschte ein organisiertes Chaos. Dhespina hatte die Befehlsgewalt über den Hauptgang und wurde von
Lenya unterstützt, die mit Töpfen und Pfannen jonglierte, während sie gleichzeitig ihre dunkelhaarige kleine Erado auf der
Hüfte balancierte. Elena und Yianoulla kümmerten sich um den Nachtisch, und Praxi und Maria bemühten sich, Salat kleinzuschneiden,
ohne sich mit ihren Messern an die Kehle zu gehen. Im Wohnzimmer füllten Michalakis und Andreas zur Neige gehende Gläser mit
Bier auf, während Georgios und Marios einen Jahresverdienst von Christakis verlangten. Da sie mit ihrer Forderung nicht weiterkamen,
riefen sie laut nach Loukis, der als Schiedsrichter bestimmen sollte, da er schließlichbei der Wette dabei gewesen war. Zypern hatte alle Hoffnungen enttäuscht und war mit nur zwei Punkten als Gruppenletzter aus
den Qualifikationsspielen für die Europameisterschaft herausgegangen. Es zerriss einem das Herz, und der einzige kleine Trost
war, dass es sowohl Asprou als auch Papadopoulos im GPS-Stadion in Lefkosia gelungen war, ein Tor gegen die Gäste aus der
Schweiz zu schießen – Tore, die Georgios und Marios vorhergesagt haben wollten. Christakis wollte dieses Ergebnis jedoch nicht
anerkennen und beharrte darauf, dass sie auf eine erfolgreiche Qualifikation gewettet hatten. Da die Nationalmannschaft aber
insgesamt achtzehn Tore kassiert hatte, konnte man den Feldzug wohl kaum als erfolgreich bezeichnen.
»Worüber streiten die sich?«, wollte Herr Televantos von Mehmet wissen.
»Über einen Wetteinsatz.«
»Jaja, mit dem Sitzen habe ich auch schon so meine Probleme gehabt«, rief der alte Mann. »Sag ihnen, sie sollen sich von Dhespo
eine Creme geben lassen.«
»Es geht nicht ums Sitzen!«, rief Mehmet zurück. »Sie streiten sich über eine Wette.«
»Immer im Bett bleiben ist aber doch auch keine Lösung«, brummte Herr Televantos und schüttelte verwundert den Kopf über die
jungen Leute.
Mehmet gab auf und betete stumm, sein eigenes Gehör möchte sich nicht so bald verabschieden. Sich keinerlei Missverständnisses
bewusst, futterte Herr Televantos sich weiter munter durch den Berg von Eiern, die er gewonnen hatte. Das Zerschlagen der
bemalten Eier blieb normalerweise den Kindern vorbehalten, doch in diesem Jahr hatten alle mitgemacht, und der alte Mann war
am Ende als Sieger daraus hervorgegangen. Mehmet überließ ihn seinen Eiern und ging hinüber zum Tisch, um die
flaounes
,
koulouria
und
tyropittes
zu kosten, welche die Frauen schon Tage zuvor gebacken hatten. Obwohl er seine eigene Religion hatte, genoss Mehmet das griechische
Osterfest immer sehr. Aus der Küche wehte ihm der Duft vongebratenem Fleisch
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