Schattentraeumer - Roman
leidenschaftlicher Esser brachte er es auf einen stattlichen Körperumfang,
welcher der Größe seines Herzens zu entsprechen schien. Wenn er sprach, betonten seine kräftigen Hände donnernd seine offenen
Worte. Lella war ruhiger als ihr Mann, jedoch ebenso rund und herzlich. Sie neigte zu impulsiven, mütterlichen Gefühlsausbrüchen
und drückte Loukis unentwegt Küsse auf die Wangen, die ihn anfangs stets völlig unvorbereitet trafen, doch er gewöhnte sich
gern an ihre warmherzige Art. Seit Loukis über ihre Schwelle getreten war, hatte das Paar ihn wie selbstverständlich bei sich
aufgenommen. Er sollte sich als Teil der Familie fühlen, was er ja nun tatsächlich auch war. Ihre Liebenswürdigkeit beschämte
ihn beinahe.
Am Tag seiner Ankunft feilten sie zu dritt noch bis spät in die Nacht an seiner Legende, stimmten Einzelheiten und Details
ab, die, wie sie Loukis erklärten, über Freiheit oder Festnahme entscheiden konnten. Er war ihr Neffe aus Keryneia – aus der
St. Andrew’s Street, um genau zu sein. Seine Mutter Lenya war Lellas Schwester, die sich seit dem Tod ihres Manneszunehmend Sorgen machte, dass sich ihr Sohn mit den falschen Leuten einließ. Sie hatte sich schließlich nicht anders zu helfen
gewusst, als ihn unter Tränen in die Obhut seiner Tante und seines Onkels zu schicken. Dort sollte er nun bleiben, bis sich
die Unruhen gelegt hatten.
»Von nun an ist diese Geschichte deine Wahrheit«, sagte Demetris in einem seiner wenigen ernsten Momente zu Loukis. »Glaube
daran, und lebe sie. Was uns betrifft, so werden Lella und ich dich nie nach deinen wahren Beweggründen fragen – denn was
wir nicht wissen, kann uns auch nicht in Widersprüche verwickeln. Ich kann es nicht oft genug wiederholen, Loukis, wie wichtig
es ist, dass du bei deiner Geschichte bleibst, Tag und Nacht. Da ich Polizist bin, kommen hier unentwegt Leute vorbei: EOKA-Männer,
Polizeikollegen, sogar Briten. Und sie alle sind sehr neugierig, also bleib bei deiner Geschichte. Sei der mürrische Jugendliche,
das ist vermutlich deine beste Tarnung!« Demetris lachte, und Lella nahm Loukis’ Gesicht zwischen ihre Patschhände und drückte
ihm einen ihrer heißen Küsse auf die Wange.
In den folgenden zwei Wochen lebte sich Loukis in seiner neuen Umgebung ein. Er half Lella bei der Hausarbeit, unternahm Wanderungen
mit Demetris, um die Gegend zu erkunden, lernte die Nachbarn der beiden kennen und empfing, wie verabredet, äußerst übellaunig
ihre Freunde von der Polizei. Eines Nachmittags, als er gerade in der Wintersonne beim Holzhacken schwitzte, kam ein fremder
Jugendlicher auf das Haus zugelaufen. Als Lella ihn entdeckte, nickte sie Loukis beruhigend zu und verschwand in der Küche.
»Bruder«, grüßte ihn der Junge. »Wir machen jetzt einen Spaziergang.«
Loukis legte die Axt zur Seite und folgte ihm. Wortlos bahnten sie sich ihren Weg durch den feuchten Wald, ließen Zweige und
Äste unter ihren Schritten knacken, bis sie auf die Straße nach Pano Platres hinaustraten.
»Wir müssen eine Nachricht hinterlegen«, erklärte der Junge,als sie eine Verschnaufpause machten. Er trug zerlumpte Kleider, und die Haut seiner linken Gesichtshälfte war papierdünn
und mit roten Narben überzogen.
»Aber ich werde dir weder sagen, für wen sie bestimmt ist, noch was draufsteht. Also frag erst gar nicht.«
»In Ordnung«, erwiderte Loukis.
»Bist du gar nicht neugierig?«
»Nicht genug, um zu fragen.«
»Gut, denn selbst wenn ich wollte – was ich nicht tue –, würde ich es dir nicht verraten.«
Loukis zuckte mit den Schultern. Seinem »Bruder« war es offenbar wichtig klarzustellen, wer bei Loukis’ erster EOKA-Mis sion das Sagen hatte. Während sie die asphaltierte Straße entlanggingen, rumpelte ein britischer Konvoi an ihnen vorbei. Die Windschutzscheiben
der Fahrzeuge an der Spitze und am Ende der Kolonne waren nach vorn auf die Motorhaube geklappt, ein kleiner Wall aus Sandsäcken
war darauf errichtet. Die Dächer der Lastwagen waren abgeschrägt und mit mehreren Lagen Maschendraht verkleidet.
»Damit die Granaten runterrollen, wenn wir welche werfen«, kommentierte der EOKA-Junge, als die Laster an ihnen vorbeidröhnten.
»Und zum Schutz gegen unsere Landminen haben sie Sandsäcke auf dem Boden liegen. Ab und zu erledigen wir aber trotzdem ein
paar von ihnen.«
»Hast du viele Briten getötet?«, fragte Loukis.
»Jedenfalls genug, dass man der Queen Meldung
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