Schattentraeumer - Roman
macht«, feixte der Junge.
Nach etwa sechs Kilometern Fußmarsch schraken die beiden Jungen plötzlich zusammen: Vor ihnen war eine Straßensperre aufgebaut,
an der drei Soldaten in schwerer Montur Wache standen und rauchten.
»Die Scheißkerle haben uns gesehen«, stellte Loukis’ Begleiter überflüssigerweise fest, als die Männer sich in ihre Richtung
wandten. »Wir dürfen auf keinen Fall wegrennen, sonst schießen sie auf uns.«
Entschlossenen Schrittes marschierte er voraus, und Loukis vermutete, dass die Briten, sollten sie sich bislang nicht für
sie interessiert haben, es spätestens jetzt tun würden. Er war daher nicht im Geringsten überrascht, als sie von den Soldaten
angehalten wurden.
»Na, Jungs, wohin des Weges?«, fragte einer der Männer freundlich, während ein anderer näher kam und sie aufforderte, die
Arme zu heben, damit er sie abtasten konnte.
»Was geht dich das an?«, gab der Junge zurück.
Loukis rutschte das Herz in die Hose.
»Das kann ich dir sagen«, erwiderte der Soldat, trat seine Zigarette aus und verstärkte den Griff um seine Waffe. »Das hier
ist ein Kontrollpunkt, und wir führen hier die Aufsicht. Du wirst also so freundlich sein, diese verdammte Frage zu beantworten,
und zwar höflich.«
Angespannt wartete Loukis die Reaktion des Jungen ab. Würde er standhaft bleiben und eine Abreibung riskieren, oder würde
er zurückrudern und vor ihm, dem neuen Rekruten, sein Gesicht verlieren?
Loukis sprang ein. »Entschuldigen Sie bitte, Sir, dass mein Freund so ungeduldig ist, aber wir sind in einer dringenden Angelegenheit
unterwegs.«
Der Junge warf Loukis einen grimmigen Blick zu.
»Stimmt das, junger Mann? Und was soll das für eine dringende Angelegenheit sein?« Der Soldat hielt seinen geschulten Blick
starr auf den EOKA-Jungen gerichtet.
»Mädchen«, erwiderte Loukis trocken.
»Mädchen?«
»Ja, wir … wie sagt man gleich auf Englisch?« Er zögerte einen Augenblick, um nach einer Formulierung zu suchen, die er längst
wusste. »Den Hof machen! Ja, wir wollen ihnen den Hof machen …«
Der Soldat lockerte den Griff um seine Waffe.
»Na, warum hast du das denn nicht gleich gesagt?«, fragte er. »Kein Wunder, dass es dein Freund hier so eilig hat.«
»Wahrscheinlich hat er sich schon sein Höschen besudelt«, flachste einer der beiden anderen Soldaten.
»Dann mal ab mit euch«, befahl der erste Soldat. »Und tut uns einen Gefallen: Solltet ihr im Dorf noch mehr willige Mädchen
treffen, dann kommt zurück und sagt uns Bescheid, ja? Wir sterben hier oben!«
»Machen wir«, sagte Loukis.
Nachdem die Männer zur Seite getreten waren, um sie passieren zu lassen, äffte Loukis’ Begleiter den Soldaten auf Griechisch
nach: »›Wir sterben hier oben! Wir sterben hier oben!‹ Natürlich sterben sie hier oben – dafür werden wir schon sorgen.« Er
schickte ein verächtliches Lachen in die Richtung der Uniformierten. »Na, egal, der Einfall mit den Mädchen war jedenfalls
genial … Du kannst ziemlich schnell schalten, gefällt mir. Ich hatte die Situation natürlich voll im Griff. Ich ärgere die
einfach gern, trotzdem: gute Arbeit, Bruder. Aus dir machen wir noch einen richtigen EOKA-Mann. Ich heiße übrigens Stelios.«
»Loukis.«
»Weiß ich. Ich hab heute Morgen über dich Bescheid bekommen. Auch wenn anscheinend nicht alle Informationen ganz richtig waren:
Man hat mir gesagt, du wärst vierzehn.«
»Ich bin vierzehn.«
»Heilige Mutter Gottes! Was geben sie euch in Keryneia denn zu essen?«
»Hauptsächlich Schweineohren und Schlangen.«
»Ich hasse Schlangen …«
»Gekocht sind die echt lecker. Roh können sie manchmal ziemlich fade sein.«
»Roh?« Stelios verzog angewidert die Nase. »Das war ein Witz, oder?«
»Stimmt«, sagte Loukis.
»Trotzdem, du bist verdammt groß für dein Alter.«
»Das liegt in der Familie. Ich werde aber nächsten Monat fünfzehn, wenn’s dich beruhigt.«
»Das macht, ehrlich gesagt, kaum einen Unterschied«, erklärte Stelios. »Du wirst die Scheißkerle, die deinen Bruder umgebracht
haben, trotzdem nicht abknallen können. Er ist in Ammochostos umgekommen, hab ich gehört …«
»Ja.«
»Tut mir leid.«
Loukis nickte stumm.
»Und mein bisheriges Getue tut mir auch leid. Ich will ehrlich zu dir sein, Loukis, diese ganze Nachrichtenübermittlerei ist
Kinderkram, aber ich hatte den Auftrag, dir den Weg zu zeigen, und ich konnte ja schlecht nein sagen … Du weißt ja:
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