Schattentraeumer - Roman
›Ich schwöre,
die Befehle meiner Vorgesetzten widerspruchslos zu befolgen‹, und so.«
Loukis lachte. »Und ich gehe davon aus, dass du dich an der Organisation nicht finanziell bereichert hast, oder? Ich bin nämlich
am Verhungern.«
Stelios prustete los, und im nächsten Ort, den sie erreichten, besorgte er Brot und zwei Flaschen Cola.
»Wusstest du, dass die Briten Coca-Cola in ihrem Kampf gegen uns Griechen einsetzen?« Stelios hielt eine der Flaschen gegen
das Licht und fing die Sonnenstrahlen in dem dicken grünen Glas. »Wenn sie Patrouille fahren, lassen sie die Dinger hinten
auf ihren Lastwagen in der Sonne kochen. Gibt’s dann irgendwo Ärger, schnappen sie sich ein paar davon, schütteln sie und
werfen sie den Krawallmachern vor die Füße. Die Flaschen explodieren beim Aufprall auf dem Boden wie Granaten, und die Glassplitter
sind natürlich auch nicht ohne. Ziemlich raffiniert, wenn du mich fragst.«
Seit Stelios aufgehört hatte, den harten Mann zu markieren, war er Loukis auf seltsame Weise sympathisch, und je länger sie
sich unterhielten, desto mehr gewann das narbige Gesicht des Jungen an Leben. Er hatte seine Reserviertheit aufgegeben, mit
der er Loukis zuvor begegnet war, und sprach nun offen über die EOKA. Vor etwas über einem Jahr sei er Mitglied geworden,
erzählte er. Er liebte dieses Leben, und er lebte für die Sache – auchwenn es ein gefährliches Dasein bedeutete. Zwei Freunde hatte er bislang verloren, einen an den Henker und den anderen während
eines Sabotageakts an einem Hochspannungsmast. Sein Kommandeur für Troodos befand sich gegenwärtig auf der Flucht vor den
Briten. Stelios war jedoch der festen Überzeugung, dass selbst Hermes seine Schwierigkeiten hätte, ihn zu fassen. Der Kommandeur
hieß Gregoris Afxentiou, und es war ein Kopfgeld in Höhe von 5000 Pfund auf ihn ausgesetzt. Er sei der fähigste aller EOKA-Führer,
behauptete Stelios, und genieße nicht nur die Loyalität seiner Männer und die Bewunderung sämtlicher Griechen, sondern auch
die widerwillige Achtung der Briten, die bislang erfolglos versuchten, ihn zu ergreifen. Auch Loukis hatte schon von ihm gehört:
Afxentiou war eine Zeitlang der Anführer der Gruppe in den Bergen von Keryneia gewesen, und man erzählte sich, dass er es
einst abgelehnt hatte, einen Verräter hinzurichten, da die Frau des Mannes erst kurz zuvor ein Kind zur Welt gebracht hatte.
Seit er wieder nach Troodos zurückgekehrt war, führte seine Zelle derart effiziente Blitzüberfälle durch, dass er nun der
meistgesuchte Mann der Briten war.
»Er ist inzwischen vermutlich genauso bekannt wie Grivas«, verkündete Stelios mit einem gewissen Stolz, und er bedauerte,
dass es in der augenblicklichen Situation wohl keine Möglichkeit für Loukis geben würde, Afxentiou kennenzulernen. Stelios’
Zelle gehörten noch drei weitere Personen an: zwei alte Hasen, die schon so manchen Kampf ausgefochten hatten, und ein Teilzeit-Mädchen
namens Toulla, die genauso viel Mut hatte wie die Männer, aber schönere Brüste. Loukis musste unwillkürlich lachen, doch dann
kam ihm Praxi in den Sinn, und sein Gesicht verfinsterte sich.
»Ich schätze, du wirst erst mal Nachrichten übermitteln, so wie heute«, fuhr Stelios fort. »Aber ich werde versuchen, dass
du so schnell wie möglich bei einer der Störoperationen mitmachen kannst. Die machen
richtig
Spaß.«
»Was ist mit deinem Gesicht passiert?«, fragte Loukis unvermittelt.
Verlegen berührte Stelios seine Narben. »Das waren die Besatzer«, sagte er. »Grivas war im Sommer auf der Flucht in den Bergen,
und die Briten waren ihm auf den Fersen. Dann brach das Feuer aus. Du hast bestimmt davon gehört.«
Loukis nickte. Michalakis’ Zeitung war voll davon gewesen. Ein schreckliches Inferno, das praktisch den halben Wald vernichtet
hatte.
»Es war unmöglich, den Flammen zu entkommen«, erzählte Stelios weiter. »Die Bäume gingen in der Hitze wie Raketen in die Luft,
und der stürmische Wind fachte das Feuer immer weiter an. Ich kam gerade aus Kykkou, und plötzlich saß ich in der Falle. Das
Feuer hat uns alle erwischt – Griechen, Türken, sogar die britischen Soldaten. Ich hab sie gehört, die Soldaten, wie sie in
den Flammen explodierten. Es lag an der Munition in ihren Patronengurten. Sie sind wortwörtlich in die Luft geflogen. Ans
Kämpfen dachte in dem ganzen Chaos natürlich niemand mehr, alle rannten nur um ihr Leben,
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