Schattentraeumer - Roman
recht schroff.
»Nein, müssen Sie nicht«, erwiderte Loukis ruhig.
»Gut. Dann sehen wir dich, wenn du gebraucht wirst.« Die beiden Männer griffen zu ihren Gläsern und stürzten den
zivania
hinunter.
»Eins noch, Loukis«, sagte Antoniou. »Wenn du im Dienst der Sache unterwegs bist, tust du das hiermit unter dem Namen Echion,
verstanden?«
»Verstanden.« Loukis nickte, und nachdem sich Demetris vergewissert hatte, dass die Luft rein war, verschwanden die beiden
Männer in die Nacht.
Als Loukis am nächsten Morgen vor dem Kaffeehaus eintraf, erwartete Stelios ihn bereits.
»Nur, damit ich das richtig verstehe«, ereiferte er sich. »Dein Codename ist Echion, so wie einer der fünf
spartoi
, die aus Drachenzähnen gewachsen sind, richtig?«
»Nehme ich mal an«, antwortete Loukis verwirrt. »Warum? Wie lautet denn dein Name?«
»Priapos.«
»Priapos? Was gibt’s daran auszusetzen? Er war ein Fruchtbarkeitsgott, oder?«
»Ja, das war er«, bestätigte Stelios grollend. »Aber er war außerdem so unvorstellbar hässlich, dass ihn seine eigene Mutter
aus dem Haus gejagt hat.«
Yianoulla hielt inne, als sie beim Verteilen des Essens die beiden verwaisten Teller an der langen Tafel entdeckte.
»Nicos bekommt nichts«, wies Dhespina sie an.
»Und Loukis?«, fragte ihre Schwiegertochter.
»Kriegt das, was wir alle kriegen. Die Toten können nicht mehr essen, aber die Vermissten verlieren ihren Appetit nie.« Dhespina
wiegte ihr jüngstes Enkelkind in den Armen und setzte sich an ihren Platz. Christakis bat seine Frau mit Blicken, das zu tun,
was seine Mutter gesagt hatte. Auf seinem Schoß weinte Angelis.
»Ich muss schon sagen, Marios, das ist wirklich eine schöne Arbeit.« Georgios fuhr mit dem Finger an der Kante eines Holzbretts
entlang, das den Tisch vor einem heißen Fleischgericht aus dem Ofen schützte. Marios strahlte vor Stolz, und Christakis klopfte
seinem Bruder anerkennend auf die Schulter. Die Untersetzer waren Marios’ eigene Idee gewesen. Nachdem er festgestellt hatte,
dass der gesamte Holzverschnitt auf einem Stapel in der Ecke landete, um zu Brennholz verarbeitet zu werden, hatte er gefragt,
ob er etwas daraus machen dürfe. Christakis hatte nicht gewusst, was dagegen sprach, also machte sich Marios an die Arbeit
und sägte und schmirgelte die Holzreste in quadratische und rechteckige Bretter. Allmählich wuchs sein Vertrauen in seine
Fertigkeiten, er versah seine Werke mit Mustern, schnitzte Formen ins Holz, die er sich selbst ausdachte. So entstand eine
ganze Kollektion abstrakter Untersetzer, die den Kunden zu gefallen schienen.
»Als nächstes versuche ich mich mit Türstoppern«, verkündete Marios.
»Das ist eine gute Idee, mein Sohn. Es sind immer die kleinen Dinge im Leben, die man gern übersieht, und ausgerechnet die
erweisen sich dann als die nützlichsten.«
Als er das sagte, spürte Georgios, wie sich ihm der Hals zuschnürte. Es war schon seltsam, was seine Stimmung in letzter Zeit
zum Kippen brachte. Marios hatte ein Talent, von Gott gegeben, das tief in ihm geschlummert hatte. Erst durch den Verlustdes einen Sohnes hatte der andere seinen Weg finden können. Aber wer weiß, vielleicht wäre Marios seinen Weg auch gegangen,
wenn er Nicos an seiner Seite gehabt hätte. Vielleicht auch nicht. Das Entscheidende war, dass er es geschafft hatte, und
Georgios konnte gar nicht sagen, wie stolz er war.
»So, Michalakis«, begann Georgios in dem Versuch, die Melancholie von sich abzuschütteln, »dann erzähl uns doch mal, was es
so Neues in der Stadt gibt.«
»Die einzige Neuigkeit, die ich aus Lefkosia hören will, ist, dass mein Sohn endlich eine Frau zum Heiraten gefunden hat«,
meldete sich Dhespina zu Wort.
»Erzbischof Makarios wird wieder in Amt und Würden sein, bevor der Tag kommt, an dem dieser Junggeselle den Bund fürs Leben
schließt.« Christakis lachte.
»Stimmt genau, Mamma. Christakis hat sich bereits das hübscheste Mädchen der Insel geschnappt, ich kann also mitbringen, wen
ich will, es wird immer eine Enttäuschung sein. Sowohl für dich als auch für mich.«
»Michalakis, ich werd noch ganz rot!« Yianoulla schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Da ihr eigener Mann mit Komplimenten
nicht gerade um sich warf und ihr Körper von Schwangerschaft und Geburt noch ziemlich mitgenommen war, genoss sie die Worte
ihres Schwagers, auch wenn er sie nur im Spaß gesagt hatte.
»Michalakis hat absolut recht«,
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