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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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bekräftigte Georgios. »Ich finde, darauf sollten wir trinken!«
    »Worauf? Dass ich ausnahmsweise mal recht habe?«, fragte Michalakis. »Oder dass Yianoulla eine schöne Frau ist?«
    »Darauf, dass du wie immer recht hast, darauf, dass Yianoulla schön ist wie eh und je, und darauf, dass Gott dieses Haus mit
     Intelligenz und gutem Aussehen gesegnet hat!«
    Georgios schenkte ihnen fröhlich nach, und auch wenn Dhespina alles andere als nach Feiern zumute war, spielte sie das Spiel
     ihrer Familie mit. Den ganzen Tag über hatten sie gemeinsam versucht, die Traurigkeit zu vertreiben, die an ihrnagte, und sie war ihnen dankbar dafür. Denn gerade heute, am Weihnachtstag, brauchte sie die Zuwendung ihrer Familie mehr
     denn je.
    Während der Frühmette hatte sie so fieberhaft gebetet, wie es nur Menschen tun, die alle Hoffnung aufgegeben haben: Sie flehte
     Gott um Erbarmen an, flehte, dass ein Wunder geschehen möge, sie küsste die Heiligen und bat sie, den Allmächtigen zu überzeugen,
     dass er ihr Beistand leiste. Doch die Tür zu dem Traum, um dessen Erfüllung sie betete, blieb verschlossen, und so musste
     sie ihre Hoffnung mit zu Nicos’ Grab tragen.
    Auf dem Weg dorthin begleiteten sie Stavros und Pembe – trotz ihres unterschiedlichen Glaubens – und beteten auf ihre Weise
     für die Seele des verstorbenen Sohnes ihrer Freunde.
    Kurz vor dem Mittagessen kamen Elena und Praxi vorbei. Das Mädchen wirkte verlegen und sah blass aus, daher lud Dhespina die
     Nachbarinnen ein, zum Essen zu bleiben. Doch Praxi erteilte Dhespina eine kränkende Abfuhr, indem sie erklärte, sie habe eine
     Verabredung. Mit dem reichen Yiannis, wusste Dhespina, und der Verrat, den sie im Namen ihres verschwundenen Sohnes spürte,
     ließ sie jäh verstummen. Elena murmelte, dass das Kind ihren Kummer auf eigene Art verarbeite, und obwohl Dhespina nickte,
     war sie nicht überzeugt. Aus den Augen des Mädchens sprach nicht Traurigkeit, sondern Distanz. Das war nicht die Praxi, die
     sie kannte. Sie war eine Fremde, die sie aus kalten Augen anstarrte, Augen, die Dhespina einst so vertraut gewesen waren.
     Sie bezweifelte, dass sie dem Mädchen je würde verzeihen können.
    Nachdem der Braten aufgegessen war und sowohl der Wein als auch das Gespräch allmählich versiegten, läuteten Christakis und
     seine Familie den Aufbruch ein. Nach einer Flut von warmen Küssen und festen Umarmungen zogen sich auch Marios und Michalakis
     zurück. Schließlich stand Dhespina alleine an der Familientafel und räumte die beiden unberührten Teller ab.
    »Komm, lass mich das machen, Dhespo.« Zärtlich griff Georgios nach den Händen seiner Frau. Doch Dhespina konnteihre Wut kaum beherrschen und stieß ihn mit dem Ellbogen weg.
    »Ich weiß, wie man einen Tisch abräumt, Georgios!« Die Härte, mit der sie ihm die Worte entgegenfauchte, erschütterte ihren
     Mann, doch ihm fehlte die Kraft zum Streiten. Mit gesenktem Kopf verließ er die Küche. Dhespina wollte ihm hinterherlaufen
     und sich entschuldigen, doch die Enttäuschung lähmte sie. Sie hatte sich irgendwie eingeredet, dass Loukis zurückkehren würde,
     um das Weihnachtsfest mit seiner Familie zu verbringen. Sie hatte sich den Moment seiner Heimkehr in den Tagen zuvor wieder
     und wieder ausgemalt: die Tränen, die Aufregung und die Erleichterung, ihn wieder bei sich zu haben. Doch sein Platz war leer
     geblieben, sie hatten keinerlei Nachricht von ihm erhalten, und es fühlte sich an, als hätte sie ihn ein zweites Mal verloren.
    Als sie Loukis’ Teller über dem Eimer leerte und die kalten Kartoffeln auf die übrigen Essensreste fielen, die für die Ziege
     bestimmt waren, überkam sie plötzlich das Bedürfnis, auch Apollo etwas zu bringen. Ihr war klar, dass ihr Vorhaben an ein
     Sakrileg grenzte, doch Gott hatte bislang wenig getan, um ihr zu helfen. Also trug sie die Portion Fleisch, die sie für Loukis
     zurückbehalten hatte, zu dem kleinen Erdhügel unter dem Orangenbaum.
    Im Mondlicht sah das tote Lamm zwischen ihren Fingern plötzlich abstoßend aus. Sie hätte früher hergekommen sollen, als das
     Fleisch noch warm gewesen war und sein Duft den Geist des Hundes wachgerufen hätte.
    »Pass gut auf ihn auf, Apollo«, flüsterte sie.
    Sie beugte sich vor, um das Fleisch auf das Grab zu legen, doch als ihre Hände den Boden berührten, schreckte sie zurück.
     Die Erde war steinhart. Von dem Hund dürfte nicht viel mehr übrig sein als ein Haufen Knochen, eine zu Staub

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