Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
Vom Netzwerk:
drängten, auf Dächern standen oder über Balkongeländern lehnten. Tatsächlich ging auch ein Blumenregen
     auf sein Auto nieder, und die Straßen waren mit Fahnen und Schildern geschmückt, auf denen
enosis
gefordert wurde. Doch von Wundern, die sich ereignet haben sollten, war Michalakis nichts zu Ohren gekommen.
    Die Griechen feierten die Freilassung des Erzbischofs als Vorboten der Beendigung eines dramatischen Kampfes. Michalakis schätzte
     die Lage allerdings weniger hoffnungsvoll ein. Zypern versank gerade in einem Chaos aus politischen Winkelzügen, Misstrauen
     und ausufernder Gewalt. Die Briten hatten den Konflikt und die Vorwürfe satt, die es aus ihrer Heimat und dem Ausland hagelte,
     und suchten nun eine Lösung in Dreiergesprächen mit Griechenland und der Türkei. Makarios allerdingslehnte jede Verhandlung ab, die ihn ausschloss; die türkische Regierung ihrerseits verweigerte sich hartnäckig Gesprächen,
     die ihn einschlossen. Die Aussicht auf eine Einigung lag also in weiter Ferne – trotz der Waffenruhe, die Grivas angeordnet
     hatte, als Makarios’ Verbannung aufgehoben worden war.
    Ohne den mäßigenden Einfluss des Erzbischofs hatte die Gewaltbereitschaft und Brutalität der EOKA deutlich zugenommen; der
     Graben zwischen griechischen und türkischen Inselbewohnern war immer tiefer geworden. Die Situation war inzwischen völlig
     verfahren: Die Briten suchten nach Frieden durch Autonomie, für die Griechen kam einzig
enosis
, die Einheit mit Griechenland, in Frage, und die Türken verlangten
taksim
, die Teilung der Insel.
    Michalakis war gerade einmal zwanzig Jahre alt, doch die Gräuel der vergangenen zwei Jahre hatten ihren Tribut gefordert:
     All die schrecklichen Dinge, die er hatte sehen und hören müssen, hatten ihn unvorstellbar altern lassen. Er war müde und
     sehnte sich nach dem Frieden seiner Kindheit.
    Am Hafen von Keryneia stieg er aus dem Bus und ging das letzte Stück zu Fuß. Als er das Tor zum Haus seiner Eltern fast erreicht
     hatte, sah er, wie seine Mutter gerade eine junge Frau verabschiedete, deren langes, schwarzes Haar im Licht der bereits untergehenden
     Sonne glänzte. Selbst aus der Entfernung konnte Michalakis erkennen, dass sie außergewöhnlich hübsch war.
    »Wer war das?«, fragte er seine Mutter.
    »Das Germanos-Mädchen, Maria. Sie kommt jeden Tag in der Hoffnung, dass es Neuigkeiten von Loukis gibt. Ich glaube, sie ist
     ein bisschen verliebt in ihn.«
    Die Worte seiner Mutter versetzten Michalakis einen Stich. Diese unwillkürliche Reaktion überraschte ihn selbst so sehr, dass
     er beinahe lachen musste. Er neigte im Allgemeinen nicht zu Sentimentalitäten, und seine plötzliche Gefühlsregung weckte sein
     Interesse an dem Mädchen umso mehr. Bei Gelegenheit würde er versuchen, Maria zufällig über den Weg zulaufen, er wollte wissen, ob sie so hinreißend war, wie sie aussah.
    Als er das Haus betrat, empfingen ihn Dampfschwaden. Am Esstisch saß eine Frau, sie hatte den Kopf über eine Schüssel mit
     heißem, ätherischem Wasser gebeugt, ihr Haar war von einem schwarzen Kopftuch bedeckt. Als Michalakis höflich hustete, schreckte
     sie zusammen, sah auf und wischte sich eilig die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. Es war Praxis Mutter Elena.
    »Oh, Michalakis, willkommen zu Hause«, sagte sie, stand auf, um ihm einen Begrüßungskuss zu geben, und Michalakis beugte sich
     zu ihr hinunter. »Was für eine schöne Überraschung, mein Junge. Was macht die Arbeit? Wir sind alle sehr stolz auf dich, musst
     du wissen.«
    »Die Arbeit läuft gut – es gibt viel zu tun, was manchmal recht anstrengend ist, aber so wird es wenigstens nicht langweilig«,
     erwiderte er wahrheitsgemäß. »Wie geht es Ihrer Praxi?«
    Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da bereute er sie schon.
    Elena warf Dhespina einen entschuldigenden Blick zu und murmelte hastig ein paar einstudierte Floskeln über das Eheleben und
     Gottes Segen. Verlegen versuchte Michalakis, seinen Fauxpas wiedergutzumachen, indem er bekräftigte, wie sehr es ihn freue,
     dass ihre Tochter einen so guten Mann gefunden habe – auch wenn er eigentlich vom Gegenteil überzeugt war. Er hatte nur höflich
     sein wollen, und nun hatte er die Nachbarin mit seiner gedankenlosen Frage in Verlegenheit gebracht: Eine Ehe, die geschlossen
     werden »musste«, war der Alptraum einer jeden griechischen Mutter. Die schlaflosen Nächte, die Elena die Heirat ihrer Tochter
     beschert hatte, waren nicht spurlos an ihr

Weitere Kostenlose Bücher