Schattentraeumer - Roman
Antoniou und
Harris vereinbart hatten. Atemlos erreichten sie die alte Scheune, die schon lange keine anderen Besucher mehr als Hasen oder
Schlangen empfangen hatte.
»Damit ich euch richtig verstehe«, sagte Antoniou steif, nachdem Loukis und Stelios ihren Patzer atemlos gestanden hatten,
»wir haben euch losgeschickt, um die Polizeiwache zu sprengen, und stattdessen habt ihr die örtliche Kirche in die Luft gejagt?«
»Ja«, erwiderte Stelios. »So könnte man es sagen.«
»Und ihr habt nicht zufällig mitbekommen, dass die Glocken wie wild gebimmelt haben?«, fragte Harris, wobei er alle Mühe hatte,
sich ein Lachen zu verkneifen.
»Jetzt, wo Sie’s sagen, wir haben drüber gesprochen, stimmt’s, Loukis?«
»Ja, haben wir, Stelios.«
»Und habt ihr irgendeine Idee, warum die Glocken geläutet haben könnten?«, fragte Harris.
»Nun, also … nein«, gestand Stelios.
»Dann werd ich euch mal sagen, warum«, meldete sich nun wieder Antoniou zu Wort. Seine Miene war finster, und er sprach bewusst
langsam, als hätte er zwei Idioten vor sich stehen. »Heute ist einer der glanzvollsten Tage in der Geschichte Zyperns – und
auch Griechenlands und der EOKA. Denn wisst ihr, Jungs, die Briten haben angesichts eines Volksaufstandes den Schwanz eingezogen.
Auf der gesamten Insel kosten griechische Zyprer diesen Triumph gerade aus und sehen voller Freude ihrer Unabhängigkeit entgegen.
Heute, meine sehr verehrten Herren, läuten die Glocken, weil unsere Kolonialherren im Begriff stehen, Erzbischof Makarios
freizulassen. Und was habt ihr beide zur Feier des Tages gemacht?«
»Wir haben eine Kirche gesprengt …«, stammelte Stelios.
»Exakt«, bestätigte Antoniou kühl. »Ihr habt eine Kirche gesprengt.«
5
Es ging ungewöhnlich lebhaft zu im Bus nach Keryneia. Ausgelassen trugen sich die Reisenden gegenseitig alte Berichte von
Radio Athen vor und schmückten die Umstände der Freilassung des Erzbischofs phantasievoll aus.
»›Weder das Öl des Nahen Ostens noch westliche Gegenwehr oder der Widerstand der Türken werden die Zyprer davon abhalten,
ihre Gegenwart und ihre Zukunft selbst zu bestimmen‹«, zitierte ein Mann gebieterisch aus Makarios’ Rede.
»Er wurde empfangen wie ein König«, seufzte die Frau neben ihm. »Unser Erzbischof, der Stolz des Mutterlandes.«
»Fürwahr, Frau Papadopoulos, fürwahr«, pflichtete der Mann ihr bei.
»Ich habe gehört, dass es Blumen zu seinen Füßen und Küsse auf seine Hände geregnet hat«, sagte eine Frau hinter ihnen. »Und
dass er auf einer silbernen Sänfte durch die Straßen getragen wurde.«
»Mein Neffe war dabei!«, verkündete ein älterer Mann und ergriff ehrfürchtig das Kreuz, das er um den Hals trug. »Er sagt,
dass er so etwas noch nie erlebt hat: Die Stadt glich einem Tränenmeer, und ein gelähmter Junge sprang auf die Beine, als
Makarios vorbeifuhr.«
»Oh, barmherziger Gott«, wisperten die Frauen, und ein paar von ihnen weinten bei der Nachricht von dem Wunder leise in ihre
Taschentücher.
Während Michalakis dem aufgeregten Geschnatter und den wunderlichen Ausschmückungen der Fahrgäste lauschte, fielen ihm zwei
Muslime im hinteren Teil des Busses auf; stumm und den Blick starr nach unten gerichtet, saßen sie da. Sie hattenganz offensichtlich Angst – die Unruhen und Brandanschläge in der Hauptstadt hatten viele Menschen nervös gemacht. Doch das
hier im Bus war keine Versammlung aufrührerischer Patrioten. Der Großteil der Fahrgäste waren ältere griechische Frauen in
Begleitung ihrer betagten Ehemänner. Und sie waren viel zu sehr mit ihrer Freude beschäftigt, als dass sie sich um die Minderheit
sorgten, der alles andere als zum Feiern zumute war.
Makarios’ Freilassung lag nun beinahe einen Monat zurück, und immer noch war er Gesprächsthema Nummer eins unter den Inselbewohnern.
Wenn die schwärmerische Darstellung der Busreisenden auch alles großartiger erschienen ließ, als es in Wirklichkeit war, so
stimmte sie im Kern doch mit den tatsächlichen Ereignissen überein.
Da es Makarios nach der Beendigung seines dreizehnmonatigen Zwangsexils auf den Seychellen verboten war, nach Zypern zurückzukehren,
hatte man ihn in einem weißen Cadillac Cabriolet durch Athen gefahren wie einen siegreichen Helden – denn dafür hielten ihn
seine treu ergebenen Untertanen. Auf seinem Triumphzug wurde er von hysterischen Frauen und jubelnden Männern empfangen, die
sich am Straßenrand
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