Schattentraeumer - Roman
du?«
Loukis verspannte sich. »Ich bin noch nicht fertig«, murmelte er.
»War ich ja auch nicht«, erinnerte ihn Toulla. »Lies einfach vor, was du hast.«
»Lieber nicht.«
»Oh, komm schon, Loukis, so schlecht wird es schon nicht sein«, trieb Stelios ihn an.
»Na gut.« Seufzend gab sich Loukis geschlagen. »Aber es ist nur ganz kurz.«
»In der Kürze liegt die Würze«, sagte Stelios.
»Da bin ich mir nicht so sicher …« Loukis wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und begann zu lesen:
»Gouverneur
Harding, Sie sind ein Schwein. Sie werden sterben. Sie Schwein.«
Loukis sah seine Freunde an.
»Das war’s?«, fragte Toulla.
»Ja.«
»Oh«, sagte Stelios.
Christakis kam ins Kaffeehaus gestürzt und knallte
Die Stimme
vor seinem Vater auf den Tisch. »Türken wollen Hälfte Zyperns stehlen«, verkündete die Schlagzeile. Georgios zog die Augenbrauen
hoch, und Stavros wandte den Blick von der Zeitung ab, als könnte er so den Konflikt ignorieren, der sich gerade zusammenzubrauen
drohte.
»Wie geht es Marios?«, fragte er stattdessen.
»Marios geht’s gut«, antwortete Christakis knapp und deutete aufgebracht auf die Zeitung. »Habt ihr das gelesen? Ist das zu
fassen?«
Die beiden älteren Männer zeigten keine Reaktion. Sie brauchten den Artikel nicht zu lesen, es war bereits den ganzen Morgen
im Radio darüber berichtet worden: Der Führer der türkischen Inselbewohner, Dr. Fazil Küçük, hatte verkündet, dass er eine
Teilung Zyperns fordere, die seinem Volk – das gerade einmal achtzehn Prozent der Bevölkerung ausmachte – fünfzig Prozent
der Insel zusprach. Die Griechen schäumten vor Wut.
»Weißt du, Christakis, als ich ein Kind war, wurde ich auf dem Schulweg immer von griechischen Jungs geärgert, die Lieder
gesungen haben wie: ›Kleiner Türke, kleiner Türke, hast Augen wie Kloaken‹«, sagte Stavros.
»Das waren Gemeinheiten unter Kindern«, gab der Tischler schroff zurück.
»Vielleicht«, fuhr Stavros fort, »aber was ist mit ihren Müttern, die ihnen erzählten, Türken seien nichts als wilde Hunde,
die stinken, weil sie nicht getauft seien? Oh, versteh mich bitte nicht falsch, wir waren auch keine Heiligen. Meine eigene
Tante war der felsenfesten Überzeugung, dass man nicht einmal demSchatten eines Griechen trauen könnte, sie hielt euch alle für vom Teufel besessen, wegen des Gifts, das in der Kirche verspritzt
wird … Was ich sagen will, ist, dass eine tief verwurzelte Abneigung zwischen unseren beiden Gemeinschaften besteht, die sich
heute in brutaler Gewalt äußert – von beiden Seiten, ich weiß. Aber, sag mir, sollte der Traum der Griechen Wirklichkeit werden,
was wird dann aus den Türken?«
»Sie werden weiterhin Teil dieser Insel sein, so wie sie es die vergangenen dreihundert Jahre waren«, erwiderte Christakis.
»Aber sich abspalten und uns unserer Häuser und unseres Landes berauben zu wollen ist schon eine ziemlich miese Ausschlachtung
unserer Differenzen!«
»Aber es sind genauso unsere Häuser und unser Land«, rief Stavros. »Es gibt da dieses alte Lied: ›Wenn ich diesen Boden auspresse,
fließt türkisches Blut heraus, wenn ich dieses Land umgrabe, kommen türkische Knochen zum Vorschein, oh, was die Türken erleiden.‹
Ob du es glaubst oder nicht, Christakis, aber eure türkischen Nachbarn haben Angst vor euch, und immer mehr Türken kommen
inzwischen zu der Überzeugung, dass allein die Teilung ihren Seelenfrieden wiederherstellen kann.«
»Ich bezweifle, dass irgendjemand ernsthaft glaubt, die Lösung läge in einer Teilung«, stellte Georgios kategorisch fest.
»Was hier gerade abläuft, ist nichts als politisches Säbelrasseln.«
»Ganz recht«, stimmte ihm Stavros zu. »Ich persönlich denke auch nicht, dass eine Teilung unsere Probleme löst, aber hat euer
EOKA-Führer Grivas nicht einmal selbst gesagt: ›Erst wenn Feuer und Wasser die besten Freunde und Hölle und Paradies eins
werden, dann und erst dann werden wir wahre Freundschaft mit den Türken schließen‹?«
»Vergiss Grivas«, sagte Georgios und spülte seinen letzten Rest Kaffee mit einem Schluck Wasser hinunter. »Seine Zeit ist
vorbei. Jetzt ist Makarios an der Reihe. Er ist derjenige, der den Karren aus dem Dreck ziehen muss.«
Marios ging den Weg zum Friedhof wie auf Wolken. Bis zu diesem Tag hatte er für Babys nicht viel übriggehabt, doch als er
Praxi auf der Straße gefunden hatte – die Beine ganz nass,
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