Schattenturm
Shaun.
»Allein?«, fragte Joe.
»Ja«, erwiderte Ali. »Ich bin ein großes Mädchen.« Sie lächelte.
»Shaun, komm mal kurz her«, sagte Joe.
»Warte«, sagte Shaun zu Ali und ging zu seinem Vater.
Joe umfasste Shauns Ellbogen, reichte seinem Sohn das Telefon und sprach in leisem, eindringlichem Tonfall. »Sag ihr, sie soll ihren Vater anrufen und ihn bitten, sie hier vor der Tür abzuholen. Du wartest, bis er da ist.«
»Was ist denn los?«, fragte Shaun, dessen Stimme wachsende Panik verriet.
»Tu, was ich sage, Junge.«
Ali rief ihren Vater an und steckte anschließend den Kopf ins Wohnzimmer.
»Sergeant Deegan war sowieso auf dem Weg hierher«, sagte sie. »Darum hat Dad ihn gebeten, mich nach Hause zu bringen. Er müsste jeden Moment hier sein.«
Joe durchfuhr es einkalt. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass vor seinem Haus ein Streifenwagen erschien! Er sprang auf. »Ich fahre dich nach Hause.«
»Nein, danke«, sagte Ali. »Ich möchte Ihnen keine Umstände machen. Wie ich schon sagte, Mr Deegan ist auf dem Weg hierher.«
»Hör mal, Dad, ich wollte Ali noch einen Titel von meiner neuen CD vorspielen. Wir sind unten, ja?«, sagte Shaun und zog Ali ins Untergeschoss.
Joe setzte sich wieder und stützte den Kopf auf die Hände. So blieb er sitzen, bis es an der Tür klingelte.
»Hallo, Joe«, sagte Frank und reichte ihm eine Karte in einem blauen Umschlag. »Hier. Für dich. Ich habe unterwegs den Postboten getroffen.«
Joe warf einen Blick auf den Umschlag und erkannte Dannys Schrift.
»Kann ich kurz reinkommen?«, fragte Frank.
»Hör mal, das passt mir jetzt gar nicht gut, Frank. Im Augenblick habe ich wenig Zeit. Ich hab viel zu tun, weißt du …«
»Ich fürchte, du hast keine andere Wahl, Joe. Es geht um das Fax, das du Dr. McClatchie gezeigt hast.«
Joe spürte Wut über den Verrat in sich aufsteigen.
»Ich würde auch gern mal einen Blick darauf werfen. Dr. Mc-Clatchie ist besorgt.« Joe sah, dass Frank ein Phantombild und das Verbrecherfoto von Duke in der Hand hielt.
»Ich habe es nicht mehr. Es liegt im Müll.«
»Ich glaube dir nicht, Joe. Kann ich reinkommen?«
»Okay.« Joe zog Frank ins Haus und schloss hastig die Tür hinter ihm.
»Für so etwas habe ich keine Zeit.«
»Ich auch nicht«, sagte Frank. »Ich bin auf dem Weg zu einer Besprechung in Limerick, und ich muss das Bild sehen. Ich hatte meine Zweifel an deiner Theorie über diesen Rawlins, aber ich habe meine Meinung geändert. Ich bin in einer brenzligen Lage. Mit meinen Vorgesetzten habe ich das nicht abgesprochen, weil ich zuerst sicher sein wollte, dass alles zusammenpasst.«
Joe kämpfte seinen Zorn nieder, ging ins Arbeitszimmer, faltete das Fax zusammen und steckte es in einen braunen Umschlag. Als ihm ein stechender Schmerz durch die Schläfen schoss, hielt er sich für einen Moment am Schreibtisch fest. Dann riss er die Schublade auf, blickte auf die Packung Aspirin und schloss die Schublade wieder. Er hatte sich geschworen, vorerst keine Medikamente einzunehmen, solange die Schmerzen erträglich waren. Zuerst musste er diese Sache hier hinter sich bringen.
Sein Blick fiel auf Dannys Brief, den er auf den Schreibtisch gelegt hatte. Er riss ihn auf, um nachzusehen, ob er eine wichtige Nachricht enthielt. In dem Umschlag steckte eine Postkarte mit Munchs Gemälde Der Schrei . Joe schüttelte den Kopf und lächelte matt. Danny hatte geschrieben:
Erinnert dich das an jemanden? Herzlichen Glückwunsch zum Vierzigsten, Partner.
»Hier«, sagte er, als er zurückkehrte und Frank den Umschlag in die Hand drückte. »Steck das in die Tasche.«
Frank runzelte die Stirn. »Okay«, sagte er. »Warum?«
»Egal. War das alles?«
»Nein. Ich möchte mit Anna sprechen.«
»Oh. Sie ist in Paris. Tut mir Leid.«
Frank schüttelte den Kopf. »Könntest du mir die Telefonnummer geben?«
»Nein«, sagte Joe. »Ihre Eltern haben kein Telefon.«
»Ach, tatsächlich? Okay, ich kann es dir ja auch sagen, dass Anna dieses Verbrecherfoto gesehen hat. Sie hat Nora gestern besucht. Und sie war völlig verstört, als sie sich das Bild angesehen hat. Es war, als ob …«
Joes Herz klopfte zum Zerspringen. »Ich hatte ihr nicht gesagt, dass ich ein paar Dinge überprüft habe«, sagte er rasch. »Sie war sauer auf mich, weil ich es ihr verschwiegen hatte. Darum ist sie nach Paris geflogen.«
»Sag mal, warum hast du mich wegen Siobhàn Fallon angerufen?«, fragte Frank plötzlich. »Hast du sie gesehen?«
»Nein. Ich
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