Schattenturm
Haut hinterher. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Dieses Gefühl gefiel ihm gar nicht. Er folgte Donnie nicht, sondern blieb, wo er war.
Donnie sprang ins warme Wasser. Er tauchte auf, winkte mit beiden Händen und tauchte wieder unter. Dann zog er sich an dem Seil hoch, das an ihrem Lieblingsbaum hing, kletterte hinauf, schaukelte hin und her und sprang wieder ins Wasser. Nach dem Schwimmen kam er zurück zu den Bäumen gerannt und stellte sich zitternd in den Schatten.
»Warum bist du nicht ins Wasser gekommen?«, fragte er. »Das war super. Was wolltest du nach der Schule denn machen?«
»Weiß nicht«, sagte Duke und hob den Blick. »Eh, Mann, zieh dir doch was an!«
Mit einer kalten Dose Mineralwasser zwischen den Oberschenkeln jagte Wanda Rawlins im Pick-up durch Stinger’s Creek. Sie rauchte wie ein Mann eine Zigarre, die zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte, und nahm lange, tiefe Züge. Als sie die einsame Gestalt am Straßenrand sah, trat sie auf die Bremse und setzte im Zickzackkurs zurück.
»He, Dukey!«, rief sie. »Soll ich dich nach Hause fahren?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Eh. Schau mich an. Was ist los?«
»Nichts.«
»Nichts«, spottete sie. »Nun sag schon.«
»Ich wollte mich mit Donnie treffen.«
»Spring rein«, sagte Wanda. »Ich fahr dich überallhin.«
»Ich muss nur bis zur Imbissstube. Das ist nicht weit.«
»Umso besser. Dann spring in den Wagen.« Donnie rührte mit einem grün-weiß gestreiften Strohhalm in seinem Milchshake.
»Du bist echt lustig«, sagte Linda Willard und versetzte ihm einen spielerischen Stoß.
»Du auch«, erwiderte Donnie.
»Auf was für Musik stehst du?«, fragte Linda.
»Weiß nich«, murmelte Donnie. »Hab keine Anlage oder so. Nicht mal ’n Radio. Mein Dad sitzt den ganzen Tag vor der Glotze.« Er zuckte mit den Schultern.
»Und was machst du so? Ich meine, außer mit Reiher-Dukey rumhängen?«
»He, Duke kann’s nicht ausstehen, wenn er so genannt wird«, sagte Donnie. »Duke ist mein bester Kumpel.«
Als Duke die lächelnden Gesichter Donnies und Lindas durch das Fenster der Imbissstube sah, runzelte er die Stirn und ging nach Hause.
Als Linda Willard zwei Stunden später auf ihrem roten Fahrrad aus der Stadt kam, sah sie Duke und winkte ihm zu.
»Hi, Linda«, rief er. »Kommst du mal kurz rüber?«
»Klar«, sagte Linda und stoppte das Rad mit dem Fuß. »Die Bremsen sind kaputt«, erklärte sie lächelnd.
»Donnie hat mir alles über euch erzählt«, sagte Duke.
»Echt?« Linda errötete.
»Ja. Weißt du, was er gesagt hat?«
»Was denn?« Linda beugte sich mit strahlenden Augen über den Lenker.
»Er hat gesagt, dass du und er neulich an der Bucht gewesen seid und dass du …«
Duke beugte sich vor und flüsterte den Rest genüsslich in Lindas Ohr. Sie riss die Augen auf. Das war abscheulich. Sie wusste nicht einmal, dass jemand so etwas machen konnte. Sie wusste nur, dass sie Donnie Riggs niemals wiedersehen wollte.
13.
Sergeant Frank Deegan stützte sich mit einer Hand an einem Baum ab und hielt den Kopf gesenkt. An seinen Lippen hing Speichel. Er spuckte und wartete, bis die Übelkeit sich legte. Auch Richie musste würgen und übergab sich schon zum dritten Mal. Dann wischte er sich über die tränenden Augen.
Keine zwei Meter entfernt lag der blutverschmierte Leichnam von Katie Lawson, von den Füßen bis zur Taille nackt. Bis auf ihr Gesicht und die Beine war der gesamte Körper unter Erde und Blättern verborgen. Die Haut hatte eine abscheuliche grünschwarze Farbe angenommen und war mit dicken Blasen übersät. Ihr pinkfarbener Kapuzenpullover hatte sich schmutzig braun verfärbt. Abgesehen von der Kleidung war sie nur noch an ihrem langen Haar zu erkennen, das unter ihrem verwesenden Kopf wie ein Fächer ausgebreitet war und allmählich ausfiel. Ihre Gesichtszüge waren völlig entstellt; das Fleisch löste sich bereits von den Knochen.
»Das können Tiere gewesen sein. Weiß Gott, welche Verletzungen am Körper sich unter den Blättern und der Erde verbergen«, sagte Frank. Er wies auf Katies Hose und den Slip, die um ihre Füße geschlungen waren; ein pinkfarbener Turnschuh lugte aus einem Hosenbein hervor.
»Du meine Güte, ja, das ist eine schlimme Sache«, sagte Dr. Cabot, der Arzt aus Mountcannon, der von der Leiche zurückwich und sich ein blau und weiß kariertes Taschentuch auf den Mund presste. Seine Arbeit war erledigt. Er hatte die unangenehme Aufgabe gehabt, Katies Tod offiziell zu
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