Schattenturm
tot ist?«
»Mach dich nicht verrückt, Martha«, sagte Joe beruhigend und drückte ihren Arm.
Betty Shanley, Managerin der Seascapes-Ferienhausanlage, verließ gerade den Zeitungsladen, als sie Shaun auf der anderen Straßenseite sah. Sie winkte ihn zu sich herüber.
»Ich weiß, Shaun, du hast Mittagspause, aber ich wollte dir nur sagen, dass am Wochenende Gäste kommen. Würdest du dich darum kümmern?«
»Klar, Mrs Shanley«, sagte er. »Für Freitag?«
»Ja. Du kannst nach der Schule hingehen. Vor zehn Uhr abends kommen die Leute nicht.« Betty musterte ihn. »Ich hoffe, es geht dir gut.«
»Geht so«, sagte Shaun und schlenderte davon. »Ach ja«, sagte er über die Schulter. »Welches Haus wird denn belegt?«
»Nummer fünfzehn«, sagte Betty.
Shauns Herz setzte einen Schlag aus.
Joe saß vor dem aufgeklappten Notebook im Arbeitszimmer.
»Dieser Fall ist ein Albtraum«, sagte er und pochte mit den Fingern auf den Tisch. »Wenn man als Ex-Polizist von den Ermittlungen ausgeschlossen ist, kann einen das verrückt machen …«
»Mir gefällt nicht, mit welchen Gedanken du offenbar spielst«, sagte Anna.
»Nun, die Sache betrifft Shaun persönlich, und damit betrifft sie auch dich und mich. Und ich kenne die Mitspieler. Wenn ich mich an den Ermittlungen beteiligen könnte …«
»Du hast dich vom Dienst freistellen lassen, Detective«, sagte Anna.
»Wir wissen nicht, was die Polizei hier vor Ort macht. Vielleicht sitzen sie auf ihren Ärschen. Anna, die Freundin unseres Sohnes ist verschwunden! Der Junge ist völlig fertig. Außerdem hat Martha mich gebeten, ihr zu helfen.«
»Verstehe. Du hast ihren Segen.«
Joe erwiderte nichts.
»Darf ich mal?«, fragte Anna. Sie streckte den Arm aus und klickte auf das Post-it-Icon unten auf dem Monitor. Über dreißig gelbe, grüne und blaue Post-it-Notes wurden geöffnet. Anna schüttelte lächelnd den Kopf.
»Wow.«
Auf jedem Zettel standen oben Informationen zu Katies Verschwinden und unten Kommentare.
Joe schob Annas Hand weg und klappte das Notebook zu.
Shaun atmete tief ein, als er auf die Kuchenkrümel im Kühlschrank starrte. Als er einen Finger darauf drückte, blieben sie auf der Haut haften. Den Rest fegte er in seine Handfläche und erhob sich aus der Hocke. Als seine Hand über dem Spülbecken schwebte, fragte er sich, ob es Unglück bringen würde, wenn er die Krümel wegspülte. Schließlich warf er sie ins Spülbecken, drehte den Wasserhahn auf und schaute zu, wie die Krümel durchs Becken trieben, über dem Abfluss durchs Wasser wirbelten und dann verschwanden.
Shaun ging durch jedes Zimmer des Ferienhauses Nummer 15 und überprüfte alles, doch mit den Gedanken war er ganz woanders. Schließlich betrat er das Schlafzimmer. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. In dem Zimmer herrschte bedrückende Leere. Shaun öffnete und schloss die Kleiderschränke. Er machte das Bett. Er weinte. Er stieg die Treppe hinunter. Er schaltete die Heizung ein. Er legte den Willkommensgruß für die neuen Gäste auf den Tisch, verschloss die Tür, schob den Schlüssel unter die Matte und ging nach Hause.
Sam machte gerade Feierabend und legte zwei Schraubenschlüssel in seinen gut sortierten gelben Werkzeugkasten, als Anna zu ihm kam.
Er wischte sich die Hände an einem Öllappen ab und lächelte.
»Ich habe gute Nachrichten für Sie«, sagte er. »Es gab nicht viel für mich zu tun. Ich musste ein paar Lecks in den Petroleumtanks beseitigen und die Kolben in den Luftpumpen ersetzen. Das bedeutet, es wird kein Problem sein, den Leuchtturm wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen.«
Anna umarmte Sam. »Vielen, vielen Dank!«
»Ach, da wäre noch etwas«, sagte er. »Hier.« Sam zog einen kleinen, rosafarbenen, seidenen Glühstrumpf aus der Tasche.
Anna nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn. »Unter einem Glühstrumpf habe ich mir etwas anderes vorgestellt. Der ist ja ganz leicht. Er sieht fast so aus wie das Häkelgarn meiner Großmutter.«
»Gute Dinge werden in Einzelteilen angeliefert«, sagte Sam und zwinkerte ihr zu.
Joe stand zögernd vor Shauns Zimmertür. Der Gedanke, das Zimmer seines Sohnes zu betreten, ohne dass dieser davon wusste, bereitete ihm fast körperliche Schmerzen, doch ihm blieb keine Wahl.
Joe öffnete die Tür, stieg die Treppe hinunter, ging langsam durchs Shauns Zimmer und sah sich aufmerksam um. Auf dem gemachten Bett lag eine Filmzeitschrift. Die Fotos der Popstars und Schauspielerinnen waren von den Wänden
Weitere Kostenlose Bücher