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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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bestätigen. Frank bekreuzigte sich. »In solchen Zeiten muss man an eine Seele glauben, um nicht den Verstand zu verlieren«, sagte er. » Das da ist nicht mehr die kleine Katie …«
    Joe trank sein Bier aus. Er saß in der Kneipe neben dem erschütterten Mick Harrington, der sein zweites Glas Whiskey geleert hatte. Ed Danaher stellte keine Fragen, als er neue Drinks brachte.
    Joe wäre am liebsten losgefahren. Er war nicht in der Stimmung, höflich darauf zu warten, bis Mick sich von seinem Schock erholt hatte. Seltsamerweise wollte er so schnell wie möglich zum vielleicht wichtigsten Tatort, den er jemals sehen würde. Dennoch blieb er schweigend sitzen. Er hatte zu viel Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was Katie zugestoßen sein könnte.
    Im einen Augenblick stellte er sie sich als Engel vor, in einem weißen Kleid, ein Lächeln auf dem friedlichen Gesicht. Dann verdrängten düstere, abscheuliche Bilder diese Vision, und Joe hatte sämtliche Gräueltaten vor Augen, die er je gesehen hatte. Er dachte an das Waldstück und an Katies verwesenden Körper, an ihr entstelltes Gesicht, ihre trüben Augen, die ins Leere starrten …
    Joe blickte sich in der Kneipe um und wünschte sich, ein anderer zu sein als der, der er war: Ein Mensch, der den Glauben an das Gute für immer verloren hatte.
    Frank streckte den Arm aus und spürte den einsetzenden Nieselregen auf der Hand.
    »Wir müssen den Leichnam sofort abdecken«, sagte er zu Richie. »Hast du was da?«
    »Nur die beiden Regenjacken im Wagen«, erwiderte Richie.
    »Dann hol sie her«, sagte Frank und hob die Arme, um die steife, zusammengerollte Kapuze im Kragen seines dunkelgrünen Anoraks auszurollen. Er zog an der Schnur, band sie unter dem Kinn zusammen und stand dann regungslos da. Jede unbedachte Bewegung stellte eine Gefahr dar, denn sie konnte die Spuren am Tatort verfälschen. Und Frank hatte schon einmal versagt, Katie Lawson zu beschützen. Zumindest bei ihrer Leiche wollte er diesen Fehler nicht noch einmal begehen.
    Als Richie die Regenjacken aus dem Kofferraum des Wagens holte, wurde er von zwei Scheinwerfern angestrahlt, die sich ihm von hinten näherten. Er drehte sich um, als der Wagen knirschend auf dem Schotter zum Stehen kam. Detective O’Connor stieg aus, ein schwarzes Notizbuch in der Hand. Superintendent Brady folgte ihm. O’Connor kniff die Augen zusammen, bis Richie begriff, dass er ihn mit dem Strahl der Taschenlampe blendete. Sofort ließ Richie den Arm sinken.
    »Ist es Katie? Gibt es keine Zweifel?«, fragte Brady.
    »Keine«, erwiderte Richie. »Wir müssen die Leiche abdecken.«
    »Wir haben das weiße Zelt mitgebracht«, sagte O’Connor. »Würden Sie es bitte holen? Aber behalten Sie eine Jacke für sich.«
    Richie eilte zu O’Connors Wagen und holte das Zelt aus dem Kofferraum. Dann ging er den Männern voran durch das Waldstück und wies ihnen mit der Taschenlampe den Weg. Sie erreichten den Tatort, nickten Frank zu und warfen einen flüchtigen Blick auf die Leiche, bevor sie das Zelt aufschlugen.
    »Wir müssen die Kriminaltechnik verständigen«, sagte Brady.
    Die Kriminaltechnik, die ihren Sitz am Phoenix Park in Dublin hatte, begann den Dienst niemals vor neun Uhr, egal, welche abscheulichen Verbrechen in der Nacht entdeckt worden waren. Um halb neun würde jemand den Anrufbeantworter abhören und von einem rätselhaften Todesfall in Waterford erfahren. Erst dann würde man aktiv werden, die Gerichtsmedizin verständigen und jemanden bitten, zum Tatort hinauszufahren.
    »Bis die Kollegen kommen, muss der Leichnam bewacht werden«, sagte Frank.
    »Okay. Richie, Sie bleiben hier«, befahl O’Connor. »Frank, Superintendent Brady und ich verständigen Martha Lawson, bevor jemand anders es tut.«
    Frank musste zweimal hinsehen, bis er begriff, dass O’Connor anstelle der Kontaktlinsen heute eine rahmenlose Brille trug.
    »In Ordnung«, sagte O’Connor und reichte Richie das schwarze Notizbuch sowie einen Stift, den er aus der Tasche seiner gefütterten blauen Jacke zog. »Schreiben Sie jeden auf, der hier am Tatort erscheint, und setzen Sie unsere Namen ganz oben auf die Liste. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, dass Sie nichts anrühren dürfen. Passen Sie auf, wenn Sie auch nur einen Schritt tun. Hier darf absolut nichts verändert werden.«
    Richie nickte. Dann schaute er zu der Leiche, und in seinen Augen erschien ein Ausdruck von Panik. O’Connor bemerkte es, öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen,

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