Schattenturm
Leichnam vollständig frei. Alle erhoben sich mit steifen Gliedern und traten zurück.
Frank beobachtete aufmerksam das Geschehen, als Schutzhüllen über den Kopf, die Hände und Füße des Leichnams geschoben wurden und die Tote zuerst in einen Leichensack gepackt und dann auf eine Bahre gelegt wurde.
»Können Sie schon etwas zur Todesursache sagen?«, fragte O’Connor, der an Laras Seite trat.
»Das kann ich Ihnen erst sagen, nachdem ich die Obduktion vorgenommen habe.« Lara sah sich um. »Könnte jemand mich zu meinem Wagen fahren?«
Duke lehnte sich an seinen Van. Der Mann, der vor ihm parkte, hatte das Fenster geöffnet und hörte sich den lautstarken Kommentar eines Fußballspiels der Gaelics an.
»Verdammt, Din, komm jetzt. Du kannst dir die Ergebnisse später anhören«, rief sein Freund.
Duke beobachtete die beiden, die mit den Bogen in der Hand zum Eingang des Dromlin-Waldes liefen. Eine dicke Frau in einer orangefarbenen Jacke saß hinter einem Picknicktisch. Vor ihr lag ein Stapel Papier. Sie lächelte die beiden Männer an und reichte ihnen Kugelschreiber. Als sie die Formulare ausgefüllt hatten, nickte die Frau und wies ihnen den Weg. Duke wartete. Immer mehr Männer erschienen und trugen sich ein. Mehrere Gruppen gingen einfach an der Frau vorbei.
»Hi«, sagte Duke zu ihr. »Din ist mit meinem Bogen schon vorausgegangen. Würden Sie mir kurz erklären, wie die Sache hier abläuft?«
»Es geht um ein 3-D-Turnier«, sagte sie. »Es sind bisher über zwanzig Leute dabei. Sind Sie ein Freund von Din?«
»Ja, aus den Vereinigten Staaten«, sagte Duke lächelnd.
»Din ist ein wichtiges Mitglied der GAA«, sagte die Frau.
»Ich weiß«, sagte Duke, der keine Ahnung hatte, was sie meinte. Er füllte ebenfalls das Formular aus und stapfte in den Wald. Zwischen den Bäumen standen Gruppen von Bogenschützen und richteten ihre Waffen aus. Ein Mann in einer Öljacke stellte rund um das Gelände Warnschilder auf.
»Was für ein Schwachsinn«, schimpfte ein anderer. »Wir haben den Wald nicht mal für uns. Die lassen jeden Arsch hier rein, und wir müssen warten, bis sie die Ziele passiert haben. Das dauert ’ne Ewigkeit.«
»Ich hab’s nicht eilig«, sagte ein anderer, der seinen Compound-Bogen ausrichtete. »Ich geh mal eben pinkeln.« Er legte den Bogen neben seinem Freund auf die Erde. Der war noch durch das Aufstellen der Warnschilder abgelenkt und bemerkte nicht, dass Duke schnell und leise zuerst den Köcher und dann das kühle, glatte Holz des Bogens ergriff. Keine Minute später tauchte er auf einer Lichtung in der Nähe seines Vans auf. Er warf die Sachen auf den Rücksitz, ließ den Motor an und jagte davon.
Der Obduktionssaal im Waterford Regional Hospital hatte dieselbe Größe wie ein Klassenraum. Eine Wand war mit Stahlapparaturen bedeckt. Frank und O’Connor standen mit betretenen Mienen neben dem Spülstein, Schutzmasken in den Händen. Lara schaute zu ihnen hinüber. Es war wie in einem Western. Jeder wartete darauf, dass der andere eine Waffe zog. Lara trug blaue OP-Schutzkleidung, einen grünen Papierumhang mit langen Ärmeln, der bis zu den Knöcheln reichte, und eine grüne Plastikschürze. Eine Maske trug sie nicht. Sie streifte Latexhandschuhe über und rieb sie mit einer duftenden Handcreme ein, ehe sie ein zweites Paar Handschuhe überstreifte. Die Männer beobachteten sie interessiert.
»Der Gestank macht mir nichts«, sagte Lara. »Ich will nur nicht, dass meine Hände riechen, wenn ich zu Mittag esse. Darum ziehe ich zwei paar Handschuhe an.« Die Gerichtsmedizinerin drehte sich um und ging zu Katies Leichnam, der auf einem der Stahltische neben dem Instrumententisch lag. Die Männer folgten ihr, blieben aber auf Distanz. Hastig streifte O’Connor die Gesichtsmaske über. Wie aus heiterem Himmel ertönte die tiefe Stimme von Johnny Cash. Lara hatte vier CDs im Zufallsmodus in die Stereoanlage eingelegt: zwei mit Bluegrass-Musik, eine von Hank Williams und eine von Johnny Cash.
»Von Zeit zu Zeit ändert sich mein Musikgeschmack«, erklärte sie den verdutzten Männern. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mal auf Countrymusic stehe.«
Lara sprach kaum ein Wort, als die Polizisten sie, einen Assistenten, den Polizeifotografen, einen Kriminaltechniker und einen Experten für Fingerabdrücke bei der Arbeit beobachteten.
»Hm, was haben wir denn da?«, sagte Lara und hielt einen kleinen dunklen Splitter in die Höhe, den sie aus einer Kopfwunde gezogen hatte. Der
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