Schattenturm
entschuldigst du dich, und dann benimmst du dich wieder wie … Und was hast du neulich zu Joe gesagt?«
Er schien nachzudenken.
Anna starrte ihn wütend an. »Ich habe keine Lust, mit dir zu reden«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf ihn.
»Ach, komm.« Miller streckte die Arme nach ihr aus. Er roch nach Alkohol. Anna zog ihre Hand weg.
»Rühr mich nicht an!«
»Das hast du früher nicht gesagt«, spottete Miller.
»Du meine Güte, John. Kommst du denn nie darüber hinweg?« Anna geriet in Rage. »Ich begreife das nicht. Ich verstehe nicht, wie aus einem netten Burschen ein gewalttätiger Säufer werden konnte, der Frauen schlägt.« Als Anna begriff, was sie soeben gesagt hatte, war sie genauso schockiert wie John Miller. Sie senkte die Stimme.
»Deine Mutter«, flüsterte sie, »hat es jemandem erzählt.«
»Ah«, murmelte John, dem offenbar ein Licht aufging. Er bemühte sich um eine deutliche Aussprache und einen klaren Blick. »Ich habe meine Frau niemals geschlagen«, sagte er traurig. »Mutter hat über ihre eigene Vergangenheit gesprochen. Über meinen Vater. Sie ist verwirrt und bringt alles Mögliche durcheinander. Alzheimer, weißt du. Vater hat sie damals grün und blau geprügelt.«
Joe ging in die Küche, um das Telefongespräch zu führen, das er
gestern verschoben hatte. Danny hob sofort ab.
»… ganze Spitze wird grün und fällt herunter. Hallo?« »Eines Tages ruft deine Mutter an und kriegt diesen Quatsch
zu hören.«
»Hat sie schon. Ich hab ihr gesagt, ich würde an einem schlimmen Fall arbeiten.«
»Danny, die Polizei hat Shaun gestern zu einem inoffiziellen Gespräch aufs Revier gebeten, und das macht mir Sorgen. Sie behaupten, er hätte unter Eid ausgesagt, aber er behauptet das Gegenteil. Auf jeden Fall stellt sich heraus, dass er uns alle belogen hat, und was bedeutet da schon eine weitere Lüge? Aber in dem Punkt glaube ich ihm. Angeblich hat Shaun gestanden, sich in der Nacht, als Katie verschwand, mit dem Mädchen gestritten zu haben. Shaun aber sagt, er hätte überhaupt nichts gestanden. Auf jeden Fall hat er der Polizei jetzt alles erzählt. Bevor Katie verschwunden ist, haben Shaun und sie miteinander geschlafen, und anschließend kam es zum Streit.«
»Der arme Kerl.«
»Da gebe ich dir Recht, aber ich hätte ihm am liebsten den Hintern versohlt. Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Ich habe wie ein Trottel dagestanden und musste mit ansehen, wie sie ihn in die Mangel genommen haben. Ich will bei den Ermittlungen helfen …«
»… und bin einer der Menschen, die wir hassen.«
»Genau. Und mein eigener Sohn lügt mir die Hucke voll.«
»Er ist jung und hatte Angst. Da neigt man dazu, Mist zu bauen.«
»Ich weiß. Aber ich habe jetzt Angst, dass ein großer dicker Finger auf Shaun zeigt und dass es keinen Grund mehr gibt, weiteren Spuren nachzugehen. Die Polizei scheint keine anderen Anhaltspunkte zu haben, und Shaun ist ihr Hauptverdächtiger.«
»Bin ich jetzt nur der Seelenklempner, oder kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
»Ich dachte schon, du fragst nie.«
»Soll ich rüberkommen und mal mit der Faust auf den Tisch hauen? Ich könnte auch ein paar Mädchen anquatschen.«
»Das kann ich denen nicht zumuten. Aber in Nevada sitzt ein hilfsbereiter Gefängniswärter, der dir vielleicht erlaubt, mit einem Häftling zu sprechen.«
»Mit Rawlins’ Zellengenossen?«
»Ja. Versuch mal, aus dem Burschen was herauszukriegen.«
Shaun hatte es sich im Sessel bequem gemacht und die Füße auf den Fernsehtisch gelegt.
»Du bist sicher nicht in der Stimmung, aber ich dachte, das könnte dich ein bisschen aufmuntern«, sagte Anna.
»Was?«, fragte Shaun.
»Wie du weißt, hat dein Vater am Freitag seinen vierzigsten Geburtstag, und da dachte ich, wir könnten ein kleines Fest organisieren. Keine große Party. Nur wir drei.«
Shaun zuckte mit den Schultern.
»Komm schon, wir müssen irgendetwas unternehmen, um auf andere Gedanken zu kommen …«
»Mir ist nicht nach Feiern.«
»Das geht uns allen so«, sagte Anna. »Aber es wäre doch schön. Und dein Vater würde sich bestimmt freuen.«
»Na gut«, sagte Shaun.
»Prima!«, freute sich Anna. »Ich bestelle in der Stadt eine Torte und lasse Luftballons anliefern, wenn dein Vater nicht zu Hause ist. Um Mitternacht gibt’s dann eine Riesenüberraschung für ihn …« Shaun schaute sie fragend an. Anna drückte sich einen Finger auf die Lippen, weil Joe das Zimmer betrat.
Shaun ließ die
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