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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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gewährte den Blick auf ein Dekolleté, das offenbar allergisch auf ein Selbstbräunungsmittel reagiert hatte. Ihre Lippen bewegten sich zum Text des Songs. Beim Schneiden fielen Dukes nasse Haare auf die aufgeschlagene Zeitung.
    Die Friseuse beugte sich hinunter. Als sie die Haare mit einer Hand zusammenschob, wurde auf der feuchten Seite der Zeitung ein Phantombild sichtbar.
    »Ist das nicht schrecklich?«, sagte sie und zeigte mit dem Kamm auf den Artikel. »Das Mädchen, das in Tipperary verschwunden ist.«
    »Ja, schrecklich«, sagte Duke und schaute auf das Phantombild, das ihn selbst darstellen sollte.
    »Ein paar Wochen später hat ein Mädchen eine Aussage gemacht. Sie war in dem Lokal, als der Typ da war. Sie hat nichts gesagt, weil sie Angst hatte, Ärger in der Schule zu bekommen. Vielleicht wusste sie zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr, wie der Kerl aussah.«
    »Kann sein«, sagte Duke. »Aber manche Gesichter vergisst man sein Leben lang nicht. Gute oder böse. Tja, wir werden’s erfahren, ob sie den Kerl irgendwann schnappen oder nicht.«
    Die Schere schnippte dicht an Dukes Ohr vorbei, als die Friseuse sein langes Nackenhaar kürzte.
    Im Arbeitszimmer war nur das leise Surren des Faxgeräts zu hören. Es spuckte ein Blatt nach dem anderen aus, sodass sich auf dem Fußboden rasch ein kleiner Stapel bildete. Shaun näherte sich dem Faxgerät, blieb verwirrt stehen und starrte auf das unscharfe Bild auf einem Blatt, das ein Stück abseits von den anderen gelandet war. Er hob die Seite auf. Sein Blick fiel auf das friedliche, unversehrte Gesicht einer Frau, deren Körper brutal geschändet worden war, und auf die großen, schwarzen Tintenflecke, die das Blut darstellten. Von Hand gemalte Pfeile zeigten auf mehrere Stellen des geschundenen Körpers, an denen kurze, handschriftliche Erläuterungen standen: »krallenartige Stichwunden« auf dem Oberkörper, »drei symmetrische Schnittwunden« unterhalb der Rippen und »in einigen Fällen aufgeschlitzte innere Organe«.
    Eine eiskalte Faust umklammerte Shauns Herz. Er blätterte hektisch die Seiten durch und entdeckte verschwommene und doch eindeutige Bilder einer Handtasche oder der Seitenansicht eines Schuhs – Accessoires, die diesen fremden Frauen Realität verliehen. In Shaun stieg Übelkeit auf. Schwindel erfasste ihn. Die Knie wurden ihm weich. Er brach zusammen und fiel zu Boden.
    »Mein Gott«, stieß Joe hervor, als er ins Arbeitszimmer lief. »Shaun!«
    Er kniete sich neben seinen Sohn und löste dessen zur Faust geballte Hand von den zerknüllten Blättern.
    »Die Faxe waren für mich«, sagte Joe. »Warum hast du sie dir angesehen?«
    »Wurde Katie das angetan, Dad?«, fragte Shaun schluchzend. »Meiner Katie? Das ist das Schlimmste, das ich je gesehen habe …«
    Seine Stimme war erstickt. Joe legte einen Arm um die Schultern seines Sohnes. Er konnte sich nicht erinnern, wann er Shaun das letzte Mal so nahe gewesen war.
    Schließlich rückte er von dem Jungen ab und sammelte die Blätter vom Boden auf. Jetzt stand fest, dass er ein zweites Mal nach Dublin fahren musste.
    Mae Miller riss die Tür auf. Sie trug ein langes, silberfarbenes Abendkleid und schwarze Samthandschuhe, die bis zu den Ellbogen reichten. An ihrem Hals hing eine rote Perlenkette, die zusammengeknotet war und bis auf ihre Taille fiel. Ein dickes Perlenarmband zierte ihr Handgelenk. Ihr Haar war zu einem Knoten frisiert.
    »Hallo«, sagte sie mit breitem Lächeln.
    »Oh, Mrs Miller«, sagte Richie. »Ich wusste gar nicht, dass Sie ausgehen wollten. Tut mir Leid.« Er schaute auf die Uhr. Es war halb zwölf, und er hatte gerade gefrühstückt.
    »Keineswegs«, sagte Mae Miller. »Ich genieße die Vorstellung. Ich wusste noch gar nicht, dass Sie ein Opernliebhaber sind.«
    Richie wandte den Blick ab. »Könnte ich kurz mit John sprechen?«
    »Es ist gerade Pause. Er ist an die Bar gegangen.« Mae Miller zeigte auf die Treppe.
    »Würden Sie ihn bitte rufen?«
    »Aber gern«, sagte Mae und rauschte davon.
    »John?«, rief sie. »Sieh mal, wen ich getroffen habe.«
    Richie stand neben der Tür in der Eingangshalle. Mit schweren Schritten kam John die Treppe herunter. Beim Anblick seiner Mutter runzelte er die Stirn, ohne ihre merkwürdige Aufmachung zu kommentieren.
    »Hi, Richie«, sagte er stattdessen.
    »Ah, John«, sagte seine Mutter. »Bist du fertig?« Mae drehte sich zur Küchentür um und reichte ihm den Arm, als wartete sie auf seine Begleitung. Dann warf sie über die

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