Schattenturm
sein.«
22. DENISON
North Central Texas, 1988
Der Motor des Pick-ups lief im Leerlauf. Das monotone Geräusch drang über die dunkle Straße. Donnie und Duke saßen im Führerhaus.
»Hallo, Barbara«, sagte Donnie und streckte eine Hand aus.
»Warum reichst du ihr die Hand?«, fragte Duke. »Reichst du ihr immer die Hand, wenn du sie triffst?«
»Nee«, sagte Donnie.
»Warum heute Abend? Das würde unnatürlich wirken. Los, noch mal.« Er nickte Donnie auffordernd zu.
»Hi, Barbara«, sagte Donnie. »Wir geben ein Fest für Rick, und da hab ich mich gefragt, ob du mir nicht bei der Gästeliste helfen könntest …«
»Hört sich schon besser an«, sagte Duke.
Ein Wagen fuhr in die Einfahrt vor ihnen; ein Mann in einem grauen Anzug stieg aus und ging auf die Haustür zu.
»Was ist denn das für eine Scheiße«, zischte Duke. »Wer ist der Typ?«
Donnie schloss die Augen.
»Ihr Mann«, sagte er.
»Wie spät ist es?«
Donnie schaute auf die Uhr. »Fünf nach elf.«
»Und was für ein Tag ist heute?«
»Dienstag.«
»Du verdammter Idiot!«, rief Duke und schlug mit der flachen Hand aufs Armaturenbrett, dass es wie ein Gewehrschuss knallte.
»Du Schwachkopf ! Wir haben zigmal darüber gesprochen. Stell es dir genau vor, habe ich gesagt. Stell dir eine große Uhr vor, mit fetten schwarzen Zahlen und dicken schwarzen Zeigern, die auf fünf nach elf am Dienstag stehen.«
Donnie spähte zu Duke hinüber. »Tut mir Leid.«
»Du dämlicher Versager!«, brüllte Duke. »Blöder Hund!« Er seufzte tief. »Okay, hauen wir ab.«
»Ich hab mich geirrt, Duke. Das passiert nicht noch mal. Ich schwör’s.«
»Du hast Mist gebaut! Um ein Haar hätten sie uns geschnappt. Du weißt, was dann passiert? Dann macht es klick, und wir finden uns im Knast wieder und werden unter der Dusche von Muskelprotzen vergewaltigt. Das war der größte Fehler deines Lebens. Und dein letzter!«
Donnies Herz pochte. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Duke beugte sich über Donnie zur Beifahrertür und stieß sie auf.
»Raus! Steig sofort aus!«
Donnie kletterte aus dem Pick-up und klappte die Tür leise zu. Als Duke davonraste, hörte er über das Kreischen der Reifen und das Aufbrüllen des Motors hinweg, wie Duke die Tür noch einmal öffnete und zuknallte.
Rachel Wade wischte mit einem schmutzigen Handtuch, das nach abgestandenem Bier und Asche roch, über die Theke im Beeler’s. Dann drehte sie sich um und putzte die Flaschen in den Regalen, wobei ihr dünnes blondes Haar auf und ab wippte. Sie ging in die Gaststube, um die letzten Tische abzuwischen, und räumte mit ihren schmalen Händen die schmutzigen Gläser ab. Ehe sie an die Theke zurückkehrte, schaltete sie mit der freien Hand das Licht aus.
Plötzlich tauchte in der dunklen Gaststube hinter ihr ein Mann auf.
»Verzeihung …«, sagte er. Rachel zuckte zusammen und fuhr herum. »O Gott!«, stieß sie hervor und presste sich eine Hand auf die Brust. »Haben Sie mir einen Schreck eingejagt. Ich dachte, ich hätte die Tür abgeschlossen.« Sie blickte in die strahlend blauen Augen des Fremden.
»Tut mir Leid, Ma’am«, sagte er lächelnd. »Ich dachte, ich kriege hier vielleicht noch ein spätes Bier.«
»Ja, sicher.«
»Eine Flasche Busch, bitte«, sagte er.
Rachel gab ihm das Bier, trat hinter der Theke hervor, räumte Gläser weg, wischte Tische ab und steckte Darts-Pfeile zurück auf die Scheibe. Duke beobachtete die Frau mit den schmalen Hüften, als sie sich durch die Kneipe bewegte, und starrte auf ihr weißes T-Shirt, unter dem sich ein pinkfarbener Spitzen-BH abmalte.
»Ich lade Sie zu einem Drink ein«, sagte er. »Wie wär’s?«
»Okay.« Rachel nahm eine Flasche Jack Daniels aus dem Regal.
Nachdem eine Stunde vergangen war, schloss sie die Türen ab. Nach zwei Stunden hatten sie die Flasche geleert. Als Rachel schließlich aufstand, um auf die Toilette zu gehen, war ihre Stimme schleppend geworden, und sie schwankte leicht.
»Oje. Erst wenn man aufsteht, merkt man, wie viel man intus hat«, sagte sie kichernd.
Duke grinste und blickte ihr hinterher, als sie zur Toilette ging.
Rachel trocknete ihre Hände unter dem Handföhn und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Augen waren rot, ihr Blick verschwommen. Sie nahm eine Tube Lipgloss aus ihrer Handtasche und trug es auf.
Als sie sich vom Spiegel abwandte, um zurück in den Schankraum zu gehen, krachte ihr die Tür ins Gesicht. Duke stürzte in die Toilette, schlang den rechten
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