Schattenwanderer
rätselhafte Gedicht noch einmal, über das For und ich uns schon den Kopf zerbrochen hatten, verstand aber nach wie vor kaum etwas. Ich musste Miralissa danach fragen. Vielleicht würde mir die Elfin die Hälfte der unbekannten Wörter und Rätsel erklären können.
Den Rest der Zeit brachte ich damit zu, mir die Karten von Hrad Spine einzuprägen – was ich mir im Grunde hätte sparen können. Gänge, Säle, Hallen, Räume, Verschläge, Tunnel und Höhlen. All das hatte sich zu einem Knäuel Schlangen verschlungen, die am eigenen Gift zugrunde gehen. Ein Jahrtausende altes Labyrinth, geschaffen von wer weiß wem, in einer Zeit, noch bevor die Rasse der Orks, die Erste Rasse des neuen Zeitalters, in Siala aufgetaucht war.
Gegen Abend, als meine Augen bereits schmerzten, der alte For aber immer noch nicht aufgekreuzt war, riss ich mich von den Karten los und steckte sie in meine Tasche. Ich war einfach zu faul, sie wieder in dem Geheimfach zu verstecken, außerdem wollte ich die magische Flüssigkeit nicht verschwenden – und meine alte Tasche stellte einen durchaus sicheren Aufbewahrungsort dar.
Es wurde Zeit aufzubrechen. Eigentlich hätte ich gar nicht vor Ort sein müssen, aber mich plagte eine Mischung aus Zweifel und Neugier, ob mein Plan gelingen würde. Und ob Arziwus meinen Worten, die ich ihm durch Roderick hatte zukommen lassen, Glauben geschenkt hatte. Andernfalls wäre es nämlich aus mit meinem Plan – und einer der beiden Dämonen würde sich das Pferd unter den Nagel reißen.
Es dämmerte. Jener Abschnitt des Tages brach an, da sich die Welt in allen Nuancen grauen Lichts einfärbt. Die Sonne schickte sich an, ihr Nachtlager aufzusuchen, während der Mond, fahl und weiß wie eine Schneeeule, die Nacht noch nicht in sein kürbis-gelbes Licht zu tauchen vermochte. Über der Stadt schwebte, wenn auch nur für eine Stunde, ein gigantischer Vogel, dessen Name Dämmerung lautete.
Über der Straße des Schlafenden Hundes hing eine verdächtige Stille, ein Vorzeichen dafür, dass etwas im Schwange war, jemand Blut lassen würde. Die Menschen hatten sich in die umliegenden Häuser verkrochen, die zarten Hände der Dämmerung machten fast niemanden ausfindig. Fast . Denn leer war die Straße nicht. Einige Burschen von recht zweifelhaftem Äußeren drückten sich in ihr herum, Subjekte, die selbst Baron Lonton noch in die Taschen fingerten.
Markun hatte seine Beobachter aufgestellt. Falls etwas Ungewöhnliches geschehen sollte. Falls zum Beispiel Frago Lonton samt Stadtwache auftauchte. Oder ein gewisser Garrett. Schön, sollten sie ruhig Spaziergänger mimen, die einzig um der Gesundheit willen einen Abendspaziergang machten. Nur dass die Luft im Hafenviertel der Gesundheit gemeinhin nicht sonderlich förderlich ist. Eher im Gegenteil.
Die Kerle bemerkten mich Sagoth sei Dank nicht, als ich in die Nachbargasse einbog, um durch den Hintereingang in Gosmos Schenke zu gelangen. Doch auch dieser war versperrt. Vor ihm drückten sich jede Menge Doralisser herum und taten so, als gäbe es für ein lang geplantes Treffen ihrer Rasse keinen besseren Ort als den Hinterausgang vom Messer und Beil .
Folglich musste ich nach alter Gewohnheit übers Dach klettern. Nur sollte ich das nicht mit dem Elfenseil tun, sondern besser vom Dach des Nachbarhauses aus. Sonst würden sich sowohl die Doralisser als auch Markuns Jungs sehr über den Mann wundern, der da das Dach der Schenke erklomm und nicht durch die Tür eintrat, wie alle rechtschaffenen Bürger, die keinen Anlass hatten, sich vor der Gilde der Diebe oder den dummen Böcken zu verstecken.
Ich nahm das Haus links von der Schenke in Augenschein. Die Dächer der beiden Bauten berührten sich fast. Soweit ich mich erinnerte, beherbergte das Haus irgendeine Spelunke, in der das Schöne Kraut geraucht wurde, dieses Rauschmittel, das man im fernen Djaschla gewann, aus der Purpurnen Fahne, einer Pflanze, die am Kamm der Welt wuchs. Ich hämmerte laut gegen die Tür.
Mir öffnete niemand. Offenbar grübelten die Herren Raucher erst einmal, ob einer der Götter sie aufsuchte, um dann zu der Einsicht zu gelangen, die Götter hätten weidlich Kraut und mithin in dieser urigen Spelunke nicht das Geringste verloren. Vielleicht hatte der Wirt auch schlicht und ergreifend vergessen, wie man eine Tür öffnete.
Ich klopfte also noch einmal. Und noch einmal. Schließlich ein drittes Mal. Nichts rührte sich. Hatte denn niemand diesen Jungs gesagt, dass der hemmungslose
Weitere Kostenlose Bücher