Schattenwanderer
ist, als sich vom Leben zu verabschieden.« An dieser Stelle war er verwundbar.
»Gut, es wird Zeit für mich.« Ich stand auf. »War schön, dich zu sehen. Du erweist mir doch diese kleine Gefälligkeit?«
»Ja, Garrett. Ich mache, worum du mich gebeten hast, aber dann musst du im Gegenzug auch diese kleinen Unannehmlichkeiten vergessen. Ich habe dir nicht schaden wollen.«
»Versteht sich doch von selbst«, log ich.
Ich zog es vor, statt durchs Fenster durch die Tür zu verschwinden, selbst wenn ich dafür rückwärts gehen musste. Aber der alte Gosmo war berühmt dafür, selbst eine schwere Klinge meisterlich zu werfen. Und ich traute ihm nicht mehr als dem Herzog des Krebses. Mein Leben war mir jedoch zu teuer, als dass ich mich auf derart dumme Weise davon trennen wollte: indem ich jemandem den Rücken zukehrte.
Gosmo würde tun, worum ich ihn gebeten hatte, daran zweifelte ich nicht. Er hatte keine Wahl. Außer vielleicht die, die Stadt zu verlassen oder unser nächtliches Gespräch zu Markun weiterzutragen. Aber zum einen hing er zu sehr an seiner Schenke, zum anderen … Wer würde schon ein Bündnis mit einer blutdürstigen Schlange eingehen, die einem früher oder später an die Kehle ging? Eben. So dumm war Gosmo nicht. Da vertraute er lieber Garrett. Außerdem wollte er noch ein nettes Sümmchen an der Gilde verdienen.
Ich schob die Riegel am Eingang zur Schenke zurück und schlüpfte auf die Straße hinaus. Es war mir völlig einerlei, ob Gosmo hinter mir wieder abschloss oder ob die Schenke dem Willen der Götter und Passanten überlassen blieb.
Kapitel 16
Die Jagd nach dem Pferd
Am nächsten Tag hatte ich alle Hände voll zu tun. Ich musste zu einem ganzen Dutzend Orte hetzen und obendrein zwei, drei Denksportaufgaben knacken. Wenn alles nach Plan lief, würde mich heute Nacht ein höchst amüsantes Schauspiel erwarten – selbst wenn die Akteure nicht die geringste Ahnung hatten, welche Rolle ihnen zugedacht war. Der Schlussakt musste noch vorbereitet und die letzten Mitwirkenden eingeladen werden. Deshalb begab ich mich ins Haus von Magister Arziwus. Da dieser nicht da war, bat ich Roderick, die Einladung zu dem geselligen Abend weiterzuleiten. Der Junge wirkte leicht erstaunt, versprach aber, alles haargenau zu übermitteln. Ich war mir sicher, dass er die Sache zuverlässig erledigen würde, und ging in aller Seelenruhe zu For, wo ich die langen Stunden bis zur Nacht totschlagen wollte.
For war ebenfalls nicht zu Hause. Nachdem ich zwei Stunden im Zimmer herumgelaufen war, wurde mir klar, dass ich viel zu nervös war, was meiner zarten Gesundheit in keiner Weise zuträglich sein konnte.
Unter den Vorräten meines Lehrers entdeckte ich eine Flasche Wein. Sehnsüchtig drehte ich sie in meiner Hand hin und her, stellte sie dann aber bedauernd zurück. Ich würde doch nicht betrunken in Gosmos Schenke aufkreuzen und mir damit den ganzen Spaß verderben.
Ich setzte mich in den Sessel und überprüfte zum hundertsten Mal die Armbrust. Schließlich rasierte ich mich sogar, da ich Zeit im Übermaß hatte. Irgendwann starrte ich nur noch gottergeben zum Fenster hinaus. Womit konnte ich mich noch beschäftigen? Endlich kam ich darauf, mir die Schriftrollen, die ich aus dem Turm des Ordens mitgebracht hatte, anzusehen. Von diesem Einfall begeistert, wollte ich mich auf der Stelle in den See des Wissens stürzen. Doch die Papiere waren spurlos verschwunden.
Fieberhaft durchforstete ich alles, angefangen mit Fors Schreibtisch bis hin zu seiner Matratze. Ich sah sogar unters Bett, aber außer einer beeindruckenden Staubschicht – was will man machen, For war noch nie ein Meister des Putzens gewesen – und einer verschreckten Spinne fand sich auch dort nichts.
Nun galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. For war ein ehemaliger Dieb. Er würde sämtliche Dokumente so verstecken, dass sie selbst der Unaussprechliche samt seiner Handlanger in hundert Jahren nicht fände. Und zwar bei sich zu Hause, da war ich mir sicher. For hätte sie nicht weggeschafft – es sei denn, es war etwas Schreckliches passiert. Darum machte ich mich erneut auf die Suche.
Indem ich den Fußboden mit dem Messergriff abklopfte, hoffte ich, jenes hohle Geräusch zu vernehmen, das von einem Geheimversteck kündet. Und das geschah auch tatsächlich. Zweimal sogar. Doch es war nicht das, was ich gesucht hatte: Unter einer Fliese entdeckte ich eine Schatulle, bis zum Rand voll mit königlichem Gold. Ein Sümmchen für die Not.
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