Schattenwanderer
Genuss des Schönen Krauts ihr Hirn zerstört? Offenbar nicht. Gut, H’san’kor sei mit ihnen! Dann musste ich mir eben einen anderen Weg suchen, die Zeit drängte. Bis Mitternacht blieb weniger als eine Stunde. Wenn ich mir noch vor Beginn der Vorstellung Zutritt zur Schenke verschaffen wollte, sollte ich mir was einfallen lassen.
In diesem Augenblick öffnete sich unerwartet doch noch die Tür. Der zarte Geruch des Schönen Krauts stieg mir in die Nase, und ich verzog das Gesicht, als litte ich Zahnschmerz. Dieses verdammte Zeug. Ich kannte ein paar Leutchen, im Grunde keine schlechten Kerle, die Markun – die königlichen Garrinchs sollen ihn fressen! – an das Kraut gebracht hatte. Es ist eine äußerst wirkungsvolle Methode, sich aller Sorgen zu entledigen. Obendrein macht man sich nicht einmal die Hände schmutzig, denn niemand wird einem etwas vorwerfen, wenn diese Leute nach zwei Monaten Raucherei auf dem Friedhof landen.
»Was denn?«, brummte jemand.
»Das!« Ich schob den Stinker, der mir die Tür geöffnet hatte, zur Seite, trat ein und versuchte, so wenig wie möglich zu atmen. Die Dämpfe des Schönen Krauts wirken, wie ich bereits gesagt habe, ausgesprochen heftig aufs Hirn. Vor allem, wenn man nicht daran gewöhnt war.
»Was das ?«, zischte Stinker, den meine Unverfrorenheit ein wenig aus der Welt der Träume auftauchen ließ.
»Das wüsstest du wohl gern, du räudige Katze«, giftete ich und bedeutete dem Kerl mit einem Finger, näher zu kommen.
Wie ein braves Kalb trat er tatsächlich an mich heran und beugte sich vor, um zu erfahren, was ich ihm zu sagen hatte. Rasch packte ich den Krautversessenen am Ohr und zog heftig daran.
»Au!«, jammerte Stinker und sprang herum, während ich sein Ohr gen Decke verlängerte. »Das tut weh!«
»Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Aber offenbar noch nicht weh genug! Warum zahlt ihr nicht?!«
»Wem denn? Was denn?«, jaulte Stinker.
Ich glaube, für einen kurzen Augenblick war mir geglückt, was noch keinem Heiler im Krankenhaus der Zehn Märtyrer je geglückt war. Der betäubende Nebel verzog sich knisternd aus Stinkers Kopf.
»Glaubst du, du bist ein Borgglied?! Warum bezahlt ihr die Wache nicht? Schließlich hält sie für euch Qualmköppe im Zweifelsfall den Kopf hin!«
»Woher soll ich das wissen?«, heulte Stinker, der offensichtlich wünschte, dass ich ebenso verschwand wie eines seiner narkotischen Trugbilder. »Das musst du dieses Weibsbild fragen!«
»Und wo finde ich die Dame?«, brüllte ich und zog den Qualmkopf abermals am Ohr.
»Hier!«, donnerte es hinter mir. »Lass meinen Gast los!«
Nachdem ich diesen Befehl ohne jede Hast ausgeführt hatte, drehte ich mich langsam um und stieß förmlich mit der Nase in den Bauch besagter Dame. Um das Gesicht überhaupt erkennen zu können, musste ich den Kopf in den Nacken legen. Oho! Wenn ich die auf freier Flur träfe, würde ich sofort Reißaus nehmen. Ich schwöre bei meiner eigenen Mutter, dass diese Dame mindestens ein Dutzend Trolle und ein paar Riesen zu ihren Vorfahren zählte. Allerdings vergaß ich die Genealogie des Weibsbildes, sobald ich in ihren Händen eine Waffe entdeckte, ein gigantisches Nudelholz. Im Grunde war es schon eine Keule. Mit dem Ding konnte man mit einem einzigen Schlag einen Ritter samt Pferd in die Erde rammen. Da es ganz gewiss kein Vergnügen wäre, damit eins über den Schädel gezogen zu bekommen, ging ich zum Angriff über. »Du!«, schrie ich grimmig, ließ Stinkers Ohr los und wies auf den ausladenden Leib des Weibsbildes. »Willst du aus der Stadt fliegen? Zusammen mit dem Gift, das du verschacherst? Ja?«
Die Dame staunte nicht schlechter als Stinker. Wer sie zum ersten Mal sah, verwandelte sich wahrscheinlich prompt in ein Mäuschen, nur um nicht mit dem Nudelholz Bekanntschaft zu schließen. Und nun spazierte da plötzlich so ein Halodri herein, brüllte und hatte vor gar nichts Angst.
»Worum geht es denn überhaupt …« Sie stockte kurz, um sich dann ein »mein Herr?« abzuringen.
»Sie wagt auch noch mich zu fragen, worum es geht!« Ich schüttelte betrübt den Kopf. »Dir gehört also diese Kaschemme?«
»Ja«, antwortete die Dame, nun bereits mit festerer Stimme.
Es würde nicht mehr lange dauern, dann hätte sie sich wieder unter Kontrolle – und mein Stegreifauftritt würde wie die Meereswellen an der uneinnehmbaren Mauer ihrer Selbstgewissheit zerschellen.
»Meinen Glückwunsch«, knurrte ich, während ich um die Dame
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