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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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dahinjagte, und mich im Schatten zu verstecken. Die Soldaten würden wertvolle Sekunden brauchen, ehe sie überhaupt begriffen, was vor sich ging. Etwas hielt mich jedoch davon ab. Neugier oder Angst vor einem Misserfolg? Vermutlich ein wenig von beidem.
    Der Kutscher verlangte den Pferden alles ab, schonte weder die Tiere noch den Wagen oder dessen Insassen. Der Baron verlor indes kein Wort darüber. Folglich hatte alles seine Richtigkeit. Ich biss die Zähne zusammen und gab mir alle Mühe, aufrecht sitzen zu bleiben, wenn die Kutsche um die Ecken schoss. Irgendwann aber konnte ich mir das Vergnügen, mich gegen den Baron fallen zu lassen und ihm unbemerkt den Beutel von seinem Gürtel zu fingern, doch nicht länger verkneifen.
    Schließlich erreichten wir unser Ziel. Zwei Soldaten expedierten mich aus der Kutsche und übergaben mich irgendwelchen Männern, die mich fest an den Ellbogen packten, um mich irgendwohin zu geleiten. Ich setzte meine Füße sicher auf, stolperte allerdings jedes Mal, wenn wir an eine Treppe kamen. Der Baron hinter mir schnaubte in einem fort. Gänge und Treppen. Gänge. Geräusche, als wir auf Platten aus issylischem Marmor ein dumpfes und tönendes Echo auslösten und über knarzende Holzdielen stapften. Schon längst wusste ich nicht mehr, wie viele Stufen, wie viele Biegungen hinter uns lagen. Wie ein Kobold im Labyrinth der Orks hatte ich jede Orientierung verloren.
    Dann wurde eine Tür geöffnet, und durch die Sohlen meiner Stiefel spürte ich dicken Teppich. Da ich ihn nicht sah, konnte ich natürlich kein abschließendes Urteil abgeben. Aber offenbar handelte es sich um einen Teppich aus dem Sultanat – der eine ordentliche Stange Geld kostete.
    »Nehmt ihm die Binde ab!«
    Ich wollte schon selbst danach greifen, doch da nahm mir Frago den verdammten Lappen ab. In dem grellen Licht des Kamins und Dutzender Kerzen und Fackeln, die den kleinen Raum taghell erleuchteten und dazu noch ordentlich aufheizten, musste ich blinzeln. Mein kundiger Blick schätzte flüchtig die Teppiche aus dem Sultanat auf ihren Wert, die Kerzenhalter, die kostbaren Möbel aus dem Holz der Wälder I’aljalas, eine vollständige Ritterrüstung, eine meisterliche Arbeit der Zwerge, in einer der hinteren Ecken des Zimmers, die Pokale und das Geschirr, beides offenbar aus reinem Gold. O ja, hier würde ich gern mal fünf Minuten allein sein.
    Vorerst galt es aber, den Herrn all dieser Pracht kennenzulernen, der mich derart höflich und nachdrücklich zu sich gebeten hatte. Statt eines Mannes erblickte ich allerdings gleich fünf Personen, von mir und dem Baron abgesehen.
    Neben dem Kamin saß, in eine dicke Wolldecke gehüllt und in der rechten Hand einen aufwendig mit Silberintarsien verzierten Stab haltend, ein Greis in einem Sessel. Ein Magier, sogar ein Erzmagier musste es sein, zeigte der Stab doch vier silberne Streifen. Nein, sogar der Magister des Ordens, denn seinen Stock krönte kein Stein von eigenwilliger Form, sondern ein Rabe.
    Der Greis wirkte klein und vertrocknet, erinnerte an eine verschrumpelte Haselnuss. Er erschauderte immer wieder, als erreiche die Wärme des Kaminfeuers neben ihm seine alten Knochen nicht. Mit dem kleinen Finger schien man ihn umstoßen zu können. Ein trügerischer Eindruck. Denn wer es wagte, Hand an Magister Arziwus zu legen, würde kein gutes Ende nehmen. Der Alte war einer der einflussreichsten Männer im Königreich und erster Ratgeber des Königs, wenngleich viele, die diesen schlotternden Greis zum ersten Mal sahen, Zweifel an der Urteilskraft seines Verstandes beschleichen mochten. Laut ausgesprochen hat diese Zweifel, soweit ich mich erinnere, freilich noch nie jemand.
    In dem Sessel Arziwus gegenüber saß eine Frau in dem kostbaren und eleganten blauen Umhang der Menschen aus Mirangrad, die einen Kelch mit Weißwein in der Hand hielt. Mit dieser Kleiderwahl ging sie in unserem Königreich ein gewisses Risiko ein, denn der Krieg gegen Miranuäch hatte sich zwar vor fünf Jahren erschöpft, doch nur damit beide Seiten nach blutreichen Schlachten neue Kräfte sammeln konnten. Offiziell war er niemals für beendet erklärt worden. Die Miranuächer waren bei uns nicht besser gelitten als der Unaussprechliche. Diese Lady scherte das allem Anschein nach jedoch keineswegs.
    Obwohl ein Schleier das Gesicht der Unbekannten verhüllte, wusste ich sicher, dass ich ebendieser mysteriösen Dame vor zwei Tagen schon einmal begegnet war, in jener denkwürdigen Nacht, als

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