Schattenwanderer
»Wer wird dir denn jetzt den Rotz abwischen?«
Kli-Kli zog ein grellbuntes Taschentuch von der Größe eines kleineren Kriegsbanners aus der Tasche und schnaubte geräuschvoll hinein.
»Vorwärts!« Graf Markhouse stieß seinem Tier die Fersen in die Seiten.
»Viel Glück, Schattentänzer!«, flüsterte mir der Narr zum Abschied mit gänzlich unverstellter Stimme zu.
H’san’kor soll mich zerreißen! Wir brachen tatsächlich auf! Mögen uns alle Götter Sialas beistehen!
Kapitel 20
Unterwegs
Wir hatten Awendum hinter uns gelassen. Die hohen, herrschaftlichen Mauern, errichtet aus dem Stein, der in Ols Stollen abgebaut worden war, verschwammen im Morgennebel, den die Strahlen der erwachenden Sonne von der Erde aufscheuchten und zwangen, eine Zeit lang wie ein verängstigter weißer Falter in der Luft hängen zu bleiben. Aber der frühe Morgen ist ein gespenstisches Vöglein, das sich nicht fangen lässt. Er entschwand schlicht hinter dem Horizont, um dem brütenden Vormittag zu weichen.
Alle Wilden Herzen zogen ihre Jacken aus und ritten hemdsärmelig. Eine Ausnahme bildete nur Arnch, der sein Kettenhemd auch nicht eine Minute ablegte. Gut, die Bewohner des Grenzreichs haben so ihre Marotten, und es steht mir nicht zu, sie zu verurteilen. Wenn ich in der Nachbarschaft der Wälder Sagrabas geboren worden wäre und jede Minute mit einem Angriff der Orks rechnen müsste, würde ich wahrscheinlich kein Kettenhemd, sondern Markhouse’ Panzer tragen, ungeachtet der Hitze.
Der rasierte Kopf des hageren Grenzreichers leuchtete in der hoch stehenden Sonne wie eine polierte Kupferkugel und, ich schwöre es bei meinem Pferd, Kli-Kli hätte mit Sicherheit ein paar dumme Witze über Arnch gerissen. Ich knöpfte mir das Hemd ebenfalls auf und krempelte die Ärmel hoch, was ich am Abend noch heftig bedauern sollte, wenn meine Haut in prachtvollem Himbeerrot erstrahlen würde. Im Grunde hasse ich die Hitze doch, die Kälte ist mir lieber. Die Sonnenstrahlen, die unablässig auf uns einpeitschten, brachten das Hirn in meinem Kopf allmählich zum Kochen. Marmotte teilte meine Abneigung gegen die Hitze, die das Königreich heimsuchte. Er und sein Tierchen träumten nur von dem Tag, da sie sich wieder durch den Schnee am Einsamen Riesen pflügten.
An der Spitze unseres Zuges ritten Markhouse und die Elfen, ihnen folgten in Zweier- oder Dreiergruppen die Wilden Herzen. Ich ritt zunächst neben Marmotte, der sich als recht wortreicher und interessanter Gesprächspartner herausstellte. Später schlossen sich uns Hallas und Deler an.
Der geschickte Zwerg hatte aus allerlei Utensilien einen überlangen Schlauch hergestellt, der in dem Weinfass steckte. Jetzt nahmen sowohl der Zwerg als auch der Gnom jedes Mal, wenn Ohm sie aus den Augen ließ, einen Schluck jenes Nektars der Götter, wobei sie ab und zu vor Wonne und ob der göttlichen Gnade, der sie teilhaftig wurden, schnauften. Die beiden wurden immer ausgelassener, und ich machte mir allmählich Sorgen, dass einer von ihnen alles verderben könnte, indem er aus dem Sattel rutschte und sich das Genick brach. Aber nein, sie hatten nur leicht gerötete Gesichter und stimmten ein munteres Liedlein über irgendeinen Kriegszug an. Ohm, der mit Aal sprach, warf einen argwöhnischen Blick auf die beiden frischgebackenen Sangesknaben und schaute von Minute zu Minute finsterer drein.
Der Zwerg ließ sich mit Kennermiene über die Vorzüge Miralissas als Frau aus. Er und Hallas waren sich einig, dass sie zahlreiche davon besitze, die Fänge jedoch den Gesamteindruck wieder zunichte machten. Der Gnom ließ nach einer gewissen Denkpause fallen, im Prinzip könne man ihr Gesicht ja unter einem Lappen verbergen und dann fortfahren, wie Mutter Natur es gebiete, worauf Marmotte, der bisher geschwiegen hatte, den beiden Experten vorschlug, die Klappe zu halten oder wenigstens den Ton zu drosseln, da andernfalls Miralissa ihren S’kasch aus der Scheide ziehen und dem einen kurzerhand den Bart, dem anderen etwas von weiter unten absäbeln würde. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann jedoch brachte der Zwerg hervor: »Aber ich meine das doch nicht böse. Ich wollte nur offen über die Elfin reden.«
»Du kannst in den Wäldern Sagrabas offen reden, wenn die Elfen dich für die Beleidigung der Prinzessin ihres Hauses mit dem Kopf nach unten am nächsten Baum aufhängen«, parierte Marmotte und streichelte den Ling.
Danach verlor der Disput über die Elfin jeden Reiz, und der Gnom
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