Schattenwanderer
den Kobold, der sich inzwischen auf einen Stuhl gesetzt hatte.
»Wolltest du etwa unter Fanfarenklängen ausziehen?«, kicherte der Narr. »Tagsüber hat die Stadt zu viele Augen. Das würde Gerüchte geben.«
»Alle, die etwas von unserer kleinen Reise wissen wollten, tun das bereits«, hielt ich dagegen.
Der Narr schnaubte zustimmend, schwieg aber.
»Übrigens!«, fiel es mir ein. »Wie konntest du überhaupt in einen verschlossenen Raum gelangen?«
»Du bist nicht der Einzige, der ein Schloss knacken kann, Garrett.« Die blauen Augen des Kobolds funkelten vergnügt. »Hier gibt es einen Geheimgang … Bist du nun fertig?«
»Gleich! Ich muss noch packen!«, brummte ich.
»Es ist alles längst gepackt und in den Satteltaschen von Bienchen verstaut. Ich habe mir erlaubt, mich um meinen besten Freund zu kümmern.«
»Wer soll das denn sein, dein bester Freund?«
Wie auch früher schon ließ der Narr meinen Spott unbeantwortet.
Auf dem Weg zu den Stallungen begegneten wir Hallas und Deler. Das untrennbare Pärchen stritt schon wieder heftig. Wie heißt es doch so schön: Den Buckligen biegt erst das Grab gerade. Da beide gesund und munter waren, musste die Prügelei gestern Nacht ausgefallen sein.
»Sag mir lieber, wo du so spät noch hingegangen bist«, brummte Deler beleidigt.
»Zu meinen Verwandten«, antwortete Hallas gleichmütig.
»Die werden um zwei Uhr nachts ausgerechnet auf dich gewartet haben!«, knurrte der Zwerg. »Bestimmt bist du irgendwelchen Weibern nachgestiegen!«
»Und wenn schon!«, blaffte Hallas. »Was geht dich das an?«
»Und was schleppst du da für einen Sack mit dir rum?«, bohrte Deler weiter.
Auf dem Rücken des Gnoms hing in der Tat ein Leinensack, wie ihn Bergleute oder Edelsteinsucher in den Stählernen Schächten tragen.
»Hast du an dem auch etwas auszusetzen?« Hallas machte sich daran, seine Pfeife anzuzünden. Deler rümpfte verächtlich die Nase.
»Was steckt denn in dem Sack?«, fragte der Zwerg neugierig.
»Ich frage dich ja auch nicht, was in deinem Fässchen ist.« Der Gnom setzte alles daran, das Thema zu wechseln.
»Als ob das ein Geheimnis wäre!«, entgegnete Deler leicht verwundert und schüttelte das bauchige Fässchen, das er ächzend mit beiden Händen trug. Es war halb so groß wie der Zwerg, in ihm gluckerte es fröhlich. »Wein ist da drin!«
»Und wo hast du diesen Schatz aufgetrieben?«, wollte Hallas wissen, während er kleine Rauchringe ausstieß.
»Dabei hat mir Kli-Kli geholfen«, erklärte der Zwerg mit einem fröhlichen Grinsen. »Es stammt aus Stalkons Kellern.«
»Und was hast du damit vor?«
»Trinken, du Hackerhirn!«, schnauzte der Zwerg. »Was soll man denn wohl sonst mit Wein machen! Ich lade das Fass auf mein Pferd und werde es nach und nach leeren.«
Den letzten Satz sprach Deler mit einem versonnenen Gesichtsausdruck aus.
»Pass bloß auf! Wenn das Ohm hört …«, brummte der Gnom.
Als wir die Stallungen erreichten, wimmelte es bereits von gesattelten Pferden und bewaffneten Menschen. Auch die Wilden Herzen waren schon da, nur war es einem ungeübten Auge jetzt kaum noch möglich zu entscheiden, ob es Wilde Herzen und nicht einfache Soldaten aus der Grenzgarnison waren. Die Stickerei in Form eines gezahnten Herzens hatte man erbarmungslos von den abgetragenen Lederjacken entfernt. Und auch der Griff von Lämplers Schwert war, wie mir auffiel, mit schwarzem Stoff umwickelt, der das goldene Eichenblatt des Meisters verbarg, eine weitere Vorsichtsmaßnahme oder ein Versuch, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu lenken. Den Birgrisen hatte Mumr neben den Satteltaschen befestigt, wobei er das gescheckte Pferd mit der Waffe offenbar zu Tode erschreckt hatte. Die Ohren des armen Tiers flatterten, und das Pferd schielte zu Lämpler hinauf, der bereits auf ihm saß. Erst da begriff ich, was es eigentlich fürchtete. Mumr spielte gedankenversunken mit der Flöte in seiner Hand, als überlege er, ein Liedchen anzustimmen oder nicht. Lämplers Gepiepse versetzte also nicht nur die Menschen in Angst und Schrecken, sondern auch die Tiere. Ich hoffte inständig, dieses verdammte Gepfeife nie wieder hören zu müssen.
»Es wird Zeit, Garrett«, sagte der Narr.
Abschiedsworte und die besten Wünsche seitens des Königs oder auch von Arziwus waren also nicht zu befürchten. Sie hatten sich nicht einmal herbemüht. Warum hätten sie von den Todgeweihten auch Abschied nehmen sollen? Abgesehen davon dürften sie nach dem
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