Schattenwanderer
Augen.
Die Herberge war groß, für alle von uns fanden sich Zimmer. Sie hieß Goldene Henne und machte ihrem Namen in jeder Hinsicht Ehre: Sie bescherte ihrem Herrn kein schlechtes Einkommen, und im Hof schwirrten fünf Dutzend Hühner umher, die sich von der einbrechenden Dämmerung in keiner Weise beeindrucken ließen. Zumindest schickte sich kein Vogel an, seine Stange im Stall aufzusuchen, sondern alle Hühner pickten weiter mit wichtigem Getschirpe nach einem späten Abendbrot im Sand herum.
Ich saß schwerfällig vom Pferd ab und ließ Bienchen von einem Diener der Herberge in den Stall bringen. Nie wieder würde mich jemand auf einen Gaul bekommen! Wenn man es nicht gewöhnt ist, kann das Reiten ein sehr anstrengendes und zweifelhaftes Vergnügen sein. Mein ganzer Körper hatte sich in ein einziges Hühnerauge verwandelt. Und damit nicht genug. Obendrein hatte mich die Sonne von allen Seiten geröstet, ich fühlte mich alt, zerschlagen und krank.
»He, Garrett!« Met kam auf mich zu und streckte mir mit verschlagenem Grinsen die Faust entgegen.
Die anderen Wilden Herzen beobachteten mich neugierig. Ich musterte, was Met mir unter die Nase hielt: ein paar Strohhalme.
»Was soll das?«, fragte ich Met, ohne die Halme zu berühren.
»Wir losen!«, erklärte Met fröhlich. »Die Jungs und ich, wir haben beschlossen, dass du auch teilnimmst.«
»Wobei? Und warum sind die Elfen und unser ruhmreicher Graf schon in der Herberge und müssen keinen Halm ziehen?«
»Die Elfen und Alistan losen nie«, antwortete mir Ohm anstelle von Met. »Es ist ganz einfach. Wer den kurzen Halm zieht, teilt das Zimmer mit Lämpler.«
»Bis zum Ende der Reise« setzte Arnch rasch hinzu.
Lämpler verfolgte das Ganze mit unverhüllter Wut. Um seinem Missfallen Ausdruck zu geben, stimmte er auf seiner Flöte einen Marsch der Gnome an, sehr zum Schrecken der friedlich pickenden Hühner. Da es mir im Grunde einerlei war, mit wem ich das Zimmer teilte, zog ich mit möglichst unbeteiligter Miene den erstbesten Halm. Es war der kurze.
Von allen Seiten vernahm ich erleichterte Seufzer. Jemand schlug mir aufmunternd auf den Rücken, jemand anders blinzelte mir fröhlich zu. Mir war schleierhaft, warum niemand mit Lämpler in einem Zimmer schlafen wollte. In der Herberge hatte man bereits das Essen aufgetragen, der freundliche Wirt schenkte eigenhändig von seinem besten Wein aus. Es gab kaum Gäste von auswärts, im Raum hielten sich hauptsächlich Dorfbewohner auf.
Das Essen bestand aus Huhn in all seinen Variationen. Brathuhn, mit Äpfeln gebackenes Huhn, gedämpftes Huhn und Hühnerkeulen mit Pfeffer. Wenn ich da am Ende mal bloß nicht selber anfing zu gackern! Bedenkt man zudem, dass ich Huhn in keiner seiner gastronomischen Formen ausstehen kann, dürfte meine düstere Stimmung nicht überraschen. Müdigkeit vorschützend, begab ich mich auf mein Zimmer und legte mich in eines der beiden Betten. Im Unterschied zu mir waren die Wilden Herzen so frisch und munter, als hätten sie nicht den ganzen Tag im Sattel verbracht.
Einmal mehr bedauerte ich, dass ich mich in dieses Abenteuer hatte hineinziehen lassen.
Erst gegen Mitternacht wurde mir klar, was es mit dem kurzen Halm auf sich hatte. Lämpler war spät nachts aufgetaucht, als ich bereits geschlafen hatte. Nach dem Tag im Sattel war ich dermaßen erledigt, dass ich nicht einmal gehört hatte, wie er das Zimmer betrat.
Das änderte sich prompt, als Mumr aufs Schönste anfing zu schnarchen. Gosmo mit seinen Trillern und Pfeifern war ein Waisenknabe dagegen! Verglichen mit Lämplers Schnarchkonzert klang das von Gosmo wie das Surren einer Mücke im Vergleich zum Gebrüll eines hungrigen Oburen. Natürlich wachte ich auf. Und natürlich versuchte ich mit allen Mitteln, diese Pein zu beenden. Ich pfiff. Ich stimmte ein Liedlein an. Ich schleuderte einen Schuh nach Mumr. Alles vergebens! Er dachte nicht einmal daran aufzuwachen oder sich wenigstens auf die andere Seite zu drehen.
Nach etwa einer Stunde hatte ich mich dann auf das Geschnarche eingestellt und war gerade dabei, wieder einzuschlafen, als Lämpler die Tonart wechselte und ich erneut hochfuhr. Ausgelaugt zog ich mir das Kissen über den Kopf. Irgendwann schlief ich ein. Ich gab mir selbst das Versprechen, mir für die nächste Nacht ein ruhigeres Plätzchen zu suchen.
Als mich Mumr am Morgen weckte, warf ich ihm einen finsteren Blick zu. Ihn hatte offenbar niemand am Schlafen gehindert.
Erstaunlicherweise war mein
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