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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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zur letzten Schlacht antreten, danach gäbe es nichts mehr, wohin sie sich hätten zurückziehen können. Höchstens das Kalte Meer oder die Öden Lande, doch beides wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Ihnen blieb nur der würdevolle Tod. Grok brauchte Zeit, um die entscheidende Schlacht vorzubereiten. Und diese Zeit hatte er nicht.
    Früher gab es lediglich einen Weg von Ranneng nach Awendum. Er führte genau durch diese Gegend, die heute die Harganer Heide heißt. Heute ist er vergessen. Diesen Weg nahmen auch die Truppen. Die Armee und Vertreter des kurz zuvor gegründeten Ordens beschlossen, eine kleine Einheit zu opfern, die die Orks ein paar Tage aufhalten sollte. Die Gegend war dafür wie geschaffen. Überall Wald und Sumpf, dazu nur ein Weg. An einer Stelle schnitt eine tiefe Schlucht den Weg. Hier wollte man den Feind aufhalten. Man rief alle zusammen und suchte nach Freiwilligen. Ihr seid bemerkenswerte Geschöpfe, ihr Menschen. Bisweilen schlitzt ihr euch wegen eines Kupferlings gegenseitig die Kehle auf, dann wieder opfert ihr euer Leben, um eure Gefährten zu schützen. Etwas mehr als dreitausend Mann fanden sich zu diesem tödlichen Unterfangen bereit. Von ihnen wurden dreihundert ausgesucht. Mehr zu opfern, wäre dumm gewesen, denn auch dreitausend Mann wären am Ende gefallen, und die Armee war ohnehin schon stark ausgedünnt. Die Freiwilligen wurden Hundeschwalben genannt, warum, das weiß ich nicht. Den Befehl über sie hatte ein alter Soldat, der früher unter Grok Hauptmann gewesen war. Er hieß Hargan. Ihm zu Ehren benannten die ach so dankbaren Nachfahren später diesen Ort. Hargan hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Orks einen halben Tag aufzuhalten. Mehr hatte er sich nicht vorgenommen. Und dann hielten sie den Feind doch ganze vier Tage auf. Nicht ein Ork kam durch, solange die Hundeschwalben noch am Leben waren. Hargans Soldaten verschafften Groks Armee eine kostbare Verschnaufpause – und die Zeit, sich auf die Schlacht vor Awendum vorzubereiten. Niemand kann sagen, welchen Lauf die Geschichte des Königreichs genommen hätte, wenn die Hundeschwalben nicht gewesen wären. Was dann kam, wisst ihr. Die Orks überrannten Awendum, die letzten vierhundert Soldaten Groks hatten den Tod schon vor Augen, als die dunklen Elfen eintrafen. Mit ihnen hatte niemand gerechnet. Die Menschen nicht und die Orks schon gar nicht. Die Elfen hatten den Menschen die Geschichte mit Jok Imargo verziehen und waren ihnen in letzter Sekunde zu Hilfe geeilt. Sie konnten sich die Gelegenheit, mit ihren Verwandten abzurechnen, einfach nicht entgehen lassen. Damit ging der Krieg des Frühlings zu Ende.«
    »Und diese Heide?«
    »Die Heide?«, fragte der Narr zurück. »Die Heide geriet in Vergessenheit. Irgendwie ist ein neuer Weg entstanden, denn niemand hatte die Gefallenen wegschaffen wollen. Ehrlich gesagt, sind die meisten von ihnen nicht einmal beerdigt worden. Wer hätte das auch tun sollen? Schließlich waren alle damit beschäftigt, das Land wieder aufzubauen. Außerdem bereitete der Unaussprechliche Probleme. Und Knochen waren nur Knochen, die Erde nahm sie bereitwillig auf. Der Weg verödete, niemand benutzte ihn mehr. Bloß die Viehhirten trieben wohl noch ihre Herden darüber. Der Boden hier ist fett, das Gras hoch. Es blieb allein der Name, Harganer Heide, auch wenn irgendwann niemand mehr wusste, woher er stammte. Nur die Alten erinnern sich an diese Heldentaten der Menschen. Ein kleiner Krieg auf der Bühne der großen Welt. Ein kleines Drama und ein kleiner Tod. Wie viele davon gab es schon? Wie viele wird es noch geben? Wie viele Helden werden unverdient vergessen – und an wie viele Menschen erinnert man sich, auch wenn sie das nicht verdienen?«
    Über dem Feuer hing eine beklemmende Stille. Jeder dachte an diejenigen, die sich den Yataganen der Orks entgegengestellt hatten, die nicht zurückgewichen waren.
    »Die Gnome hätten ihre Helden nie vergessen!«
    »Die Zwerge auch nicht!«
    Ich schämte mich für die Menschen. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Wie konnte man ein solches Opfer vergessen?
    »Komm, Schandmaul!«, sagte Lämpler heiser und stand auf. »Wir beide haben heute Nacht die erste Wache.«
    Nach und nach legten sich alle schlafen, nur der Narr blieb einsam am Feuer sitzen und beobachtete den Tanz des kleinen Lagerfeuers.
    Es regnete in Sturzbächen. Die Götter mussten die Bäuche der Dunstwolken aufgeschlitzt haben. Die Sonne verbarg sich hinter den Wolken, der düstere

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